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Ein dunkler Ort

Ein dunkler Ort

Titel: Ein dunkler Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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fragte sie verwirrt. »Wer ist hier ein Gegenstand?«
    »Du!«, schrie Kit. »Wir alle! Kapierst du es denn nicht, Lynda. Das bist nicht du, die diese schönen Bilder erschafft, von denen wir alle so beeindruckt sind. Die sind von einem berühmten Landschaftsmaler, der vor über einem Jahrhundert gestorben ist. Kein Wunder also, dass sie so gut sind!«
    »Das ist nicht wahr«, sagte Lynda. »Ich habe heute den ganzen Tag gemalt. Sieh her, ich kann es beweisen.« Sie streckte ihre schlanke, zarte Hand aus, die mit grüner Farbe beschmiert war. »Das kommt vom Gras, das ich gemacht hab. Auf meinem neuen Bild ist eine Menge Gras.«
    »Und wer will, dass es da ist, dieses Gras? Wer hat dieses Bild komponiert? Wer führt den Pinsel?«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Neulich Abend in deinem Zimmer«, sagte Kit entnervt, »als ich dir dein Tablett nach oben gebracht habe, hast du gesagt: ›Es ist so viel zu tun. ER will so viel.‹ Von wem hast du da gesprochen, Lynda? Wer ist dieser ›er‹?«
    »So was habe ich nie gesagt.« Lynda Stimme überschlug sich fast. »Ihr seid ja so gemein. Erst behauptet Ruth, ich würde abpausen, und jetzt sagst du, jemand anders würde meine Arbeit machen. Ihr seid ja bloß neidisch. Das erste Mal in meinem Leben mache ich was richtig gut, und ihr könnt es nicht ertragen, dass ich dafür gelobt werde.«
    »Lass sie, Kit«, sagte Ruth. »Das versteht sie nicht. Kann man ihr nicht vorwerfen, ist ja auch unglaublich. Wir alle werden eine Weile brauchen, bis wir uns an die Vorstellung gewöhnen.«
    »Na, du kannst dich ja dran gewöhnen, wenn du willst. Ich für meinen Teil hab nicht die Absicht, das zu tun!« Kit wandte sich an Madame Duret. »Ich fahr nach Hause.«
    »Das kannst du nicht. Deine Eltern sind nicht da.«
    »Ich komme bei Freunden unter. Heute Abend rufe ich Tracy an. Morgen früh sind ihre Eltern da.«
    »Und mich können sie an der Bushaltestelle im Dorf absetzen.« Sandy stellte sich neben Kit. »Ich bleibe nicht eine Minute länger hier als nötig. Und wenn mein Großvater von der Sache hört, können Sie sich auf was gefasst machen. Der rastet aus!«
    »Mädchen, euer Benehmen ist lächerlich.« In Madames Ton lag eine gewisse Kälte. »An diesem Punkt könnt ihr keinen Rückzieher mehr machen. Die Verbindungen stabilisieren sich gerade.«
    »Na toll«, sagte Kit. »Dann brech ich ab, bevor sie richtig stabil sind. Ich verschwinde von hier, solange mein Hirn noch mir gehört. Wenn Sie denken, dass ich hier sitzen bleibe und herumwandernde Geister davon Besitz ergreifen lasse, haben Sie wohl den Verstand verloren!«
    »Das reicht, Kathryn«, sagte Madame eisig. »Bitte vergiss nicht, dass du eine junge Dame bist, und benimm dich entsprechend. Es ist mir äußerst unangenehm, dieses Geschrei zu hören, besonders mitten in der Nacht. Du warst es, die eine Erklärung verlangt hat. Jetzt hast du sie bekommen, und so weit es mich betrifft, ist die Diskussion beendet. Ihr geht jetzt bitte alle wieder zurück in eure Betten. Ihr braucht eure Nachtruhe, damit ihr frisch seid für den Unterricht morgen früh.«
    »Zum Unterricht bin ich nicht mehr da«, sagte Kit wütend. »Ich werde mit den Rosenblums zurück in die Stadt fahren.«
    Und dann verstummte sie plötzlich, denn ihr wurde klar, dass sie kein Handy hatte und dass es in Blackwood nur ein Telefon gab. Und das stand in Madame Durets privatem Büro.

FÜNFZEHN
    Die nächsten paar Tage zogen wie hinter einem Schleier vorüber. Albtraumtage nannte Kit sie. Der Oktober ging zu Ende, der November begann und die letzten Blätter wehten von den Ästen der Bäume am See, die sich kahl und starr vom schweren Grau des bewölkten Himmels abhoben.
    Draußen war es feucht und kalt, der Winter hing schon in der Luft. In den Mauern von Blackwood herrschte eine andere Art Kälte. Sogar bei Tag schien das Haus voller Schatten zu sein, und an den Abenden versammelten sich die Mädchen im Salon, um gemeinsam die grellbunte Wirklichkeit des Fernsehschirms zu erleben und erleichtert festzustellen, dass die banalen Serien sich kein bisschen verändert hatten.
    »Es ist, als wäre das da die wirkliche Welt«, sagte Sandy und zeigte auf den Bildschirm, wo ein Komiker mit Gummimaske einen Popstar imitierte. »Und wir sind nur ausgedacht. Manchmal frage ich mich, ob es mich in echt überhaupt gibt.«
    »Du bist ganz echt, keine Sorge«, sagte Kit. »Es gibt uns alle. Die Frage ist nur, wie lange noch. Wir müssen hier so bald wie möglich

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