Ein Earl mit Mut und Leidenschaft
von Annes Hintergrund, dafür war später noch Zeit. Aber seine Tante begriff trotzdem schnell den Ernst der Lage.
„Dieser Mann ...“, sagte sie, und ihre Stimme zitterte vor Angst. „Dieser Wahnsinnige... Du glaubst, dass er Frances hat?“
„Andernfalls hätte Anne ihn doch nie begleitet.“
„Oh Gott.“ Lady Pleinsworth schwankte und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Daniel half ihr rasch in einen Sessel. „Was sollen wir nur tun?“, fragte sie ihn. „Wie sollen wir sie finden?“
„Ich gehe noch einmal zu Chervil zurück“, sagte er. „Das ist das Einzige ...“
„Frances!“, rief Lady Pleinsworth.
Daniel drehte sich um, und in diesem Augenblick kam Frances durch die Eingangshalle gelaufen und warf sich in die Arme ihrer Mutter. Sie war staubig, schmutzig, ihr Kleid war zerrissen. Aber sie schien nicht verletzt zu sein, zumindest nicht auf den ersten Blick.
„Ach, mein gutes Mädchen“, schluchzte Lady Pleinsworth und drückte Frances mit zitternden Händen an sich. „Was ist passiert? Lieber Gott, hat er dir etwas getan?“ Sie berührte sie an den Armen, an den Schultern, und schließlich bedeckte sie ihr kleines Gesichtchen mit Küssen.
„Tante Claire?“ Daniel versuchte, nicht allzu ungehalten zu klingen. „Es tut mir leid, aber ich muss jetzt wirklich mit Frances reden.“
Zornig fuhr Lady Pleinsworth zu ihm herum, schirmte ihre Tochter mit ihrem Körper ab. „Jetzt nicht“, knurrte sie. „Sie hat Schreckliches durchgemacht. Sie muss jetzt baden, etwas essen und ...“
„Sie ist meine einzige Hoffnung ...“
„Sie ist noch ein Kind!“
„Und Anne könnte sterben“, brüllte er beinahe.
In der Halle wurde es still, und hinter seiner Tante ertönte Frances’ Stimme. „Er hat Miss Wynter.“
„Frances“, sagte er, ergriff sie bei den Händen und zog sie zu einer Bank. „Bitte, du musst mir alles erzählen. Was ist geschehen?“
Frances atmete ein paarmal tief durch und sah dann ihre Mutter an, die zustimmend nickte. „Ich war im Park“, fing sie an, „und Nanny war auf der Bank eingeschlafen. Das tut sie fast jeden Tag.“ Wieder blickte sie zu ihrer Mutter. „Tut mir leid, Mama, ich hätte es dir sagen sollen, aber sie ist so alt geworden, und am Nachmittag ist sie jetzt immer müde, und ich glaube, für sie ist der Weg zum Park ziemlich weit.“
„Schon gut, Frances.“ Daniel bemühte sich, nicht die Geduld zu verlieren. „Erzähl uns einfach, was dann passiert ist.“
„Ich habe nicht aufgepasst. Ich hab eins von meinen Einhornspielen gespielt“, erklärte sie und sah Daniel an, als wüsste er wie selbstverständlich, was sie meinte. „Ich war ein ganzes Stück von Nanny weggaloppiert. “Mit ernstem Gesicht wandte sie sich zu ihrer Mutter. „Aber sie hätte mich noch sehen können. Wenn sie wach gewesen wäre.“
„Und dann?“, drängte Daniel.
Frances seufzte. „Ich weiß es nicht. Auf einmal war sie weg. Ich weiß nicht, was mit ihr passiert ist. Ich habe ein paarmal nach ihr gerufen, und dann habe ich beim See nachgeschaut, weil sie die Enten so gern füttert, aber dort war sie auch nicht, und dann ...“
Sie begann am ganzen Leib zu zittern.
„Das reicht“, erklärte Lady Pleinsworth. Daniel warf ihr einen flehentlichen Blick zu. Ihm war bewusst, dass es Frances schwerfiel, aber es musste sein. Seiner Tante musste doch auch klar sein, dass Frances sich noch viel mehr aufregen würde, wenn Anne umgebracht wurde.
„Was ist dann geschehen?“, fragte Daniel sanft.
Frances schluckte krampfhaft und schlang die Ärmchen um ihren schmalen Körper. „Jemand hat mich gepackt. Und er hat mir irgendwas in den Mund gestopft, das scheußlich geschmeckt hat, und das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich in der Kutsche saß.“
Daniel und seine Mutter teilten einen besorgten Blick. Lady Pleinsworth hatte begonnen, still vor sich hin zu weinen.
„Das war vermutlich Laudanum“, sagte er zu Frances. „Es war ganz, ganz falsch, dir das aufzuzwingen, aber es hat dir keinen Schaden zugefügt.“
Sie nickte. „Erst habe ich mich komisch gefühlt, aber jetzt nicht mehr.“
„Wann hast du Miss Wynter gesehen?“
„Als wir zu dir gefahren sind. Ich wollte aussteigen, aber der Mann ...“ Sie machte eine Pause, als wäre ihr erst jetzt etwas äußerst Wichtiges eingefallen. „Der Mann hatte eine Narbe. Eine richtig große. Direkt im Gesicht.“
„Ich weiß“, entgegnete er leise.
Sie sah ihn aus großen Augen neugierig
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