Ein echter Schatz
erzählt.
»Hier ist ein Engel«, sagte Lula, verließ den Pfad und ging ein Stück den Hang hinauf. »Entschuldigung«, sagte sie jedes Mal, wenn sie auf ein Grab trat. »Entschuldigung. Tut mir leid.«
Hinter mir ging der schweigsame Binkie. Ich drehte mich um und sah, dass er die Hand an der Waffe hatte. Auf wen oder was wollte er bloß damit schießen?
»Simon Diggery ist meistens nur mit einer Schaufel bewaffnet«, sagte ich zu Binkie. »Lula und ich kennen das schon. Wenn wir ans Grab kommen, suchen wir uns zuerst ein Versteck. Soll Simon erst mal sein Loch graben. Dann lässt er sich leichter festnehmen.«
»Ja, Ma‘am«, sagte Binkie.
»Ma‘am kann ich nicht leiden«, sagte ich. »Sagen Sie doch Stephanie zu mir.«
»Ja, Ma‘am«, sagte Binkie.
»Ich bin jetzt oben auf dem Hügel, aber hier ist kein frisch ausgehobenes Grab«, sagte Lula.
»Bist du auch wirklich bei den Kellners abgebogen?«
»Ich bin bei dem Engel abgebogen. Ob das die Kellners waren, weiß ich nicht.«
Ich versuchte angestrengt, in der Dunkelheit etwas zu erkennen. Kam mir alles unbekannt vor.
»Habe ich da gerade einen Regentropfen gespürt?«, fragte Lula. »Laut Wetterbericht sollte es doch nicht regnen, oder?«
»Ein bisschen Regen war angesagt«, sagte ich.
»Das war‘s«, sagte sie. »Ich gehe nach Hause. Ich schleiche hier nicht im Regen herum. Ich habe Wildleder an.« Lula sah sich um. »Wo geht es denn hier nach Hause?«
Das wusste ich auch nicht. Die Nacht war pechschwarz, und ich hatte völlig die Orientierung verloren.
»Bergrunter ist immer richtig«, sagte Lula und machte sich davon.
»Oh, Entschuldigung. Tut mir leid.«
Der Regen nahm jetzt zu, und der Boden unter den Füßen wurde glitschig.
»Mach langsam«, sagte ich. »Man sieht nicht, wo man hintritt.«
»Keine Angst, ich habe Röntgenaugen. Ich bin wie eine Katze. Der Mantel darf nur nicht nass werden. Da vorne steht ja ein Zelt.«
Ein Zelt? Tatsächlich. Über ein Loch, das die Friedhofsgärtner für eine Bestattung morgen ausgehoben hatten, war eine Plane gebreitet.
»Ich stelle mich hier unter das Zelt, bis der Regen aufhört«, sagte Lula und rannte vor.
»Nein!« Zu spät.
»Oh!«, sagte Lula und verschwand von der Bildfläche. Dann folgte ein lautes Plopp.
»Hilfe!«, schrie sie. »Die Mumie kommt mich holen.«
Ich sah zu ihr hinab. »Alles in Ordnung?«
»Ich glaube, ich habe mir den Hintern gebrochen.«
Sie lag in einem etwa anderthalb Meter tiefen, sarggroßen Aushub. Die Wände waren steil, und die Erde ringsum verwandelte sich rasend schnell in Matsch.
»Wir müssen Lula da rausholen«, sagte ich zu Binkie.
»Ja, Ma‘am. Aber wie?«
»Haben Sie vielleicht ein Seil im Auto?«
Binkie schaute sich um. »Wo steht das Auto?« Ich hatte keine Ahnung. Ich holte mein Handy aus der Tasche und rief Ranger an.
»Wir sind auf dem Friedhof und haben uns verlaufen«, sagte ich zu ihm. »Es regnet, und es ist dunkel, und ich habe Krämpfe. Ich habe den Sender in meiner Tasche. Kriegst du die Peilung rein?« Ein paar Minuten Stille. »Lachst du etwa über uns?«, fragte ich ihn. »Wehe, du lachst.«
»Ich bin gleich da«, sagte Ranger.
»Bring eine Leiter mit.«
Es war ein ziemlich wilder Haufen, der sich da im Regen am Friedhofstor eingefunden hatte: Ranger und zwei seiner Männer, die in ihrer schwarzen Regenkleidung mit der Finsternis verschmolzen, daneben Lula, von oben bis unten matschbeschmiert, sowie Binkie und ich, bis auf die Haut durchnässt.
»Irgendwie komme ich mir dreckig vor«, sagte Lula. »In Friedhofsmatsch getaucht.« Sie hielt ihre Autoschlüssel in der Hand.
»Soll ich dich mitnehmen?«, fragte sie mich.
»Danke, es geht schon«, antwortete ich.
Lula stieg in ihren Firebird und röhrte davon. Binkie fuhr ebenfalls los, und Rangers Leute stiegen in den SUV.
»Bleiben nur noch du und ich«, sagte Ranger. »Und was jetzt?«
»Ich will zu Morelli. Ich will dabei sein, wenn Dickie anfängt zu reden.«
Eine halbe Stunde später begleitete mich Ranger zum Hintereingang von Morellis Haus und übergab mich seinem Konkurrenten.
»Viel Glück«, sagte Ranger zu Morelli und ging.
Morelli führte mich in die Küche. »Was ist mit Diggery?«, fragte er nur.
»Den haben wir nicht mal gesehen. Wir haben uns auf dem Friedhof verlaufen und mussten Ranger holen, der uns mit seinem GPS angepeilt hat. Ich muss unbedingt unter die Dusche.«
Ich schleppte mich nach oben, schloss mich im Badezimmer ein und zog mich aus. Ich
Weitere Kostenlose Bücher