Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
telefonieren. Er wusste wohl nicht, dass jemand im Laden war, er hatte ein Glöckchen über der Tür, das schellte, sobald jemand eintrat, und er hatte nicht registriert, dass ich schon drinnen war. Ich hörte ihn mit jemandem sprechen, vermutlich mit seinem Sohn. Sie sprachen vor allem über die miserable Saison des Sportclubs Brann. Nachdem er aufgelegt hatte, kam er wieder in den Laden und schrie auf, als er mich auf dem Boden bemerkte. Was machen Sie denn da?, war der exakte Wortlaut. Das fand ich köstlich. Ich machte ja überhaupt nichts. Ich lag lediglich in seinem Laden auf dem Boden. Ich hatte tatsächlich drei Minuten und 48 Sekunden dort gelegen. Anschließend bot er mir eine Tasse Kaffee an und eine Gratispfeife Tabak von ausgesuchter Qualität. Er hatte wohl das Gefühl, er schulde mir etwas, nachdem ich so lange auf seinem Boden gelegen hatte.
Im Supermarkt liegt der Schnitt bei einer Minute und 26 Sekunden, bevor man mit Hilfe rechnen kann, während in einem normalen Einkaufszentrum eine Minute und 46 Sekunden vergehen. Das hat mich eigentlich überrascht, an manchen Tagen lag ich fünf oder sechs Minuten da. Dann kam meistens ein Mann in Uniform. Nicht selten war der Betreffende barsch und gereizt, wenn er feststellte, dass ich quicklebendig war. Er hätte mich wohl lieber tot gesehen. Wollen Sie uns zum Narren halten?, fragte einer der Wachleute, während er mich zum Hinterausgang führte. Auf keinen Fall, sagte ich, auf keinen Fall. Ich erklärte ihm, dass ich lediglich lebenswichtige Informationen sammelte. Es freute mich sehr, dass der Durchschnitt für eine Liege-Einheit bei IKEA bei drei Minuten und zehn Sekunden lag, deutlich höher als in einem normalen Einkaufszentrum. Allerdings muss erwähnt werden, dass einige der längsten Einheiten vermutlich dem Umstand geschuldet waren, dass ich bei IKEA mit der Zeit ziemlich bekannt war, das Personal hatte genug davon, dass ich auf ihrem Fußboden herumlag. Am Ende ließen sie mich einfach liegen. Sie wussten, dass ich frisch wie ein Fisch im Wasser war. Aber ich musste die Experimente über einen längeren Zeitraum durchführen, damit die statistische Grundlage ausreichte. Die Leute sollten mir in dem Punkt keine Schludrigkeit nachweisen können. Außerdem bestand mein Ziel nicht nur darin, die Reaktion der Angestellten, der Profis, offenzulegen, es ging um die Reaktion normaler Leute, und bei IKEA dauerte es also aufsehenerregend viel länger als in anderen Läden, bis jemand als Mitmensch agierte. Sie sollten Ihre Zeit nicht mit solchem Blödsinn verschwenden, sagte eine der IKEA-Angestellten, die mir im Hinterzimmer Kaffee und Weihnachtskekse brachte, nachdem sie mich wieder einmal vom Boden aufgelesen hatte. Suchen Sie sich ein Hobby, sagte sie und schlug Chorsingen, Golf oder Bridge vor. Das Alter ist zu wertvoll, um an solchen Kram verschwendet zu werden, sagte sie. Ich muss zugeben, dass mir das Liegen auf den Fußböden unterschiedlicher Läden nach einer unangenehmen Startphase zu gefallen begann. Ich freute mich auf einen neuen Tag, an dem ich ein Geschäft oder ein Zentrum ausfindig gemacht hatte, das ich noch nicht getestet hatte. Irgendwie werden die Sinne geschärft, wenn man sich als toter Mann hinlegt. Schließt man die Augen und sperrt den Gesichtssinn aus, werden alle Geräusche deutlicher und unterscheidbarer, alles wirkt näher. Ich lag da und hörte Münzen auf den Ladentisch fallen, ich hörte Unterhaltungen, Kinderweinen, Streitereien, Lachen, Türen, die auf- und wieder zugingen, Handys, Einkaufswagen, Deckenventilatoren. Ich lag da und lauschte dem Leben, das weiterging.
Ich dachte, Sie wären tot, sagt eine Stimme. Ich bin auch tot. Danke der Nachfrage. Ich spüre meine Hände nicht. Ich spüre die Gelenkkapseln nicht. Ich spüre meine Beine weiter unten nicht, ich spüre nicht einmal die Hoden in meiner Hose. Alles ist weg. Heilige Maria. Ich wache tot im Auto auf, toll, ich rieche komisch und habe mich in den Feierabend verabschiedet. Ich dachte, der Geruchssinn verschwände komplett, wenn man stirbt, aber ich merke, dass ich wie eine faulige Topfpflanze rieche. Eine eifrige Hand klopft an das Seitenfenster. Schnee auf der Gabardinehose. Ich sitze tot in dem kalten Auto, der Nachmittag hängt dünn am Himmel. Der Saab steht schräg im Wald. Was ist passiert? Wie sieht mein Nachruhm aus? Kann ich mitfahren?, fragt das Gesicht. Was ist das für eine Frage. Der Junge setzt sich auf den Beifahrersitz, bevor ich etwas sagen
Weitere Kostenlose Bücher