Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
wegdrehen, damit sie nicht sah, dass ich weinte. Dann stand sie vor dem Spiegel und begann zu singen. Sie kämmte sich die Haare, legte die Kette an, machte sich schön. Ich wusste nicht, was tun. Ich sah ein, dass ich mich nur dann ordentlich um meine Frau kümmern konnte, wenn ich mit ihr schimpfte und sie Angst vor mir bekam. Ich war auf dem besten Weg, sowohl als Ehemann wie auch als Mensch zu verrohen.
Hin und wieder kam Marny auf mich zu, legte die Hände auf meine Schultern und sagte tröstend: Wie geht es eigentlich deiner Frau? Was sollte ich antworten? Bisweilen fragte sie: Habe ich früher geraucht, Harold? Dann log ich: Nein, hast du nicht, Marny. Es kam vor, dass sie mir dieselbe Frage später noch einmal stellte, jedes Mal antwortete ich, sie habe nie geraucht. Ich glaube, danach hat sie nicht mehr geraucht. Der Hauptsatz war aus ihrem Kopf verschwunden, ich konnte mich an Nebensätze klammern, aber natürlich nicht für immer. An einem Donnerstag im letzten Herbst setzte ich Marny vor den Fernseher. Fernsehen war eine Möglichkeit, mir Ruhe zu verschaffen. Ich wusste, wenn ich mich setzte, um fernzusehen, würde Marny sich dazusetzen. Es war ein schöner Nachmittag im Oktober, sie zeigten einen alten Comedy-Film mit falschem Gelächter aus der Konserve, mit Leuten, die durch Türen hereinstolperten und wieder hinaus. Eine Weile saßen wir da und starrten auf den Bildschirm, sahen zusammen fern, als wäre alles in bester Ordnung. Ich sagte zu Marny, ich müsse kurz aufs Klo, dann ging ich in mein Arbeitszimmer, um den Hausarzt anzurufen. Er war mit einem Kollegen schon mehrmals bei uns gewesen, sie hatten Marny beobachtet, mit ihr gesprochen, ihr Fragen gestellt, als wollten sie prüfen, ob sie die Versetzung in die nächste Klasse schaffte oder nicht. Marny antwortete, so gut sie konnte, sie wurde zum Beispiel nach Wörtern auf F gefragt, welche englischen Städte sie kannte, wie ein Hund machte, wie eine Katze machte, wie der Ministerpräsident hieß, die idiotischsten Fragen. Sie sah mich an, als wollte sie die Bestätigung von mir, dass sie alles richtig machte. Wenn sie gegangen waren, fragte Marny manchmal: Ist es gut gelaufen, Liebster? Ich konnte nur nicken und sagen, dass sie sich gut geschlagen habe, es ist bestens gelaufen, Marny. Was mir Tränen in die Augen trieb, war, dass sie niemals fragte, warum die Leute gekommen waren und warum sie ihr diese idiotischen Fragen stellten. An diesem Herbsttag rief ich den Hausarzt an und sagte, es sei so weit. Ich könne nicht mehr, ich würde schon noch einen Tag durchhalten, eine Woche, einen ganzen Monat. Aber dann? Was dann? Er müsse mir helfen. Nachdem ich mit dem Arzt gesprochen hatte, brach ich am Telefon zusammen. Marny rief, ich solle unbedingt kommen. Es sei so witzig, sagte sie. Ich stand auf und ging ins Wohnzimmer. Marny saß auf ihrem Lieblingssessel, ohne zu ahnen, dass ich gerade unseren Hausarzt angerufen hatte, um ihm mitzuteilen, dass unser gemeinsames Leben zu Ende war. Ich setzte mich aufs Sofa, nahm ihre Hand und starrte auf den Bildschirm, wo ein Mann im Jackett und mit Kapitänsmütze die Treppe hinuntergefallen war. Marny drehte sich zu mir und sagte: Es ist so lieb von dir, dass du auf mich aufpasst. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, starrte nur unverwandt auf den Bildschirm.
Von A nach B. Von B nach C. Von hier nach dort. Von West nach Ost. Ich höre Radio und den schnellen Puls der Reifen. Ich bin ein Saab 1500, ein archaischer Wagen auf dem Weg durch Østfold. Weiter, weiter. Die Schneewälle am Straßenrand. Die Rasthöfe. Die schweren Bäume. Weiter, weiter. Drei Hirsche auf einem Rastplatz, der weiße Atem vor ihren Mäulern. Autos, die vorbeifahren, die Autos anderer Menschen, das Tempo anderer Menschen. Weiter, weiter. Die blauen melancholischen Anzeigen auf dem Armaturenbrett. Ich passiere die Grenze, eine Grenze ist überschritten. Schweden blitzt auf der anderen Seite der Windschutzscheibe auf. Schweden ist ein einziger endloser Wald. Hier war es so, als wäre die Zeit in Schnee gehüllt, als wäre die Zeit draußen in die Landschaft gefallen, in den Wald, der Schnee glänzt im doppelten Licht der Scheinwerfer und Häuser. Ich bin nicht einmal sicher, welchen Tag wir heute haben. Ich muss mich zusammenreißen, um nicht einzuschlafen, ich muss heil durch diesen schwedischen Wald kommen, mir ist, als würde ich Tag und Nacht fahren, Nacht für Nacht, ohne voranzukommen, als würde ich im Kreis fahren und nicht
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