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Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)

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Titel: Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frode Grytten
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fanden immer heraus, wo das Geld saß, sie rochen förmlich, wer schwach und naiv war, wen sie ausnutzen und hereinlegen konnten. Arvid Lunde war zum Glück standhaft geblieben, war gegenüber der Bedrohung durch allerlei falsche Brüder wachsam gewesen.
    Eines Nachmittags im August 1984 kamen Bu und Bä in den Schmelzer und erzählten, sie hätten gesehen, wie Arvid Lunde in die Luft aufgestiegen und verschwunden sei. Wir grinsten und gaben ihnen ein Bier aus. Bu und Bä erzählten, sie hätten im Steinpark gesoffen, als Arvid Lunde aus der Bibliothek kam, er ging die kleine Treppe hinunter, blieb einen Moment auf dem Gehweg stehen und stieg dann langsam in die Luft. Es war so, wie wenn ein Mann aus einem Buch verschwindet, sagte Bu. Ja, aus einem irren Roman, sagte Bä. Wir starben fast vor Lachen. Bu und Bä standen den ganzen Abend am Tresen und erzählten allen, die es hören wollten und ihnen ein Bier ausgaben, die Geschichte. Dabei wurde die Geschichte immer phantasievoller. Bu und Bä behaupteten, sie hätten Lunde bei seinem Aufstieg ein gutes Stück mit ihren Blicken verfolgt. Lunde war immer höher gestiegen, aber es sah nicht so aus, als würde der Kerl protestieren oder Panik bekommen, alles ging ruhig und gemächlich vonstatten, das eigentliche Drama war der Körper, der vom Boden gelöst und in die Luft gehoben wurde. Er war in die Luft gegangen wie ein heliumgefüllter Ballon, den ein Kind loslässt. Lunde war vom Winde verweht und in Richtung Rossnos getrieben worden. Am Ende war er zwischen den Wolken verschwunden.
    Nach einer Weile hatten wir keine Lust mehr auf das Geschwätz von Bu und Bä, der Wirt forderte sie auf, sich zu verpissen. Er packte sie beide am Oberarm und warf sie auf die Straße. Odda hatte schon immer eine Kultur des Alkoholrauschs gehabt, die Stadt liegt an einem Fjordarm, an dem Schiffe alles Mögliche auf- und abladen, Leute sind auf einer Alkoholwolke geschwebt, nach Mitternacht kann in Odda alles passieren, vor Mitternacht übrigens auch, ja, es hat Abende im Schmelzer gegeben, an denen garantiert keine Menschenseele unter zwei Promille lag, es hat Schichten im Schmelzwerk gegeben, bei denen alle beschwipst waren. Nehmen wir Ola Dunk, er ist bei einer Nachtschicht im Garderobenschrank eingeschlafen, voll wie eine Haubitze, die nächste Schicht hat ihn gefunden, die Arbeiter haben ihn unter die Dusche gezerrt und mit ins Schmelzhaus genommen, wo er die Frechheit besaß, nach einem Drink zu verlangen. Du kannst dein Arschloch darauf verwetten, dass du keinen kriegst, sagte der Vorarbeiter und füllte Ola Dunk mit schwarzem Kaffee ab.
    Es sollte sich herausstellen, dass Bu und Bä richtiger lagen, als jemand von uns geglaubt hatte. In dieser Woche hatte Arvid Lunde nämlich am Gymnasium Odda gekündigt. Der Kündigung war eine Episode in den Ferien vorausgegangen, als Lunde das verschlossene Gymnasium aufsuchte, um ein paar Papiere zu holen und die Kaffeemaschine für den Schulstart klarzumachen. Ihm schlug ein fürchterlicher Gestank entgegen. Das ganze Gebäude roch nach menschlichen Exkrementen. Es stellte sich heraus, dass im Sommer 1984 Handwerker bestellt worden waren, um das Rohrsystem im Gymnasium zu reparieren, aber sie waren vorm Urlaub nicht fertig geworden. Die Kloake stand offen, und innerhalb von wenigen Tagen hatte sich der Gestank ausgebreitet. In sämtlichen Zimmern roch es nach Scheiße, in jedem Korridor. Jeder Stuhl roch nach Scheiße, jedes Bücherregal, jedes Lehrbuch, jeder Vorhang, sogar die Kaffeemaschine roch nach Scheiße. Der Exkrementengeruch stammte von all jenen, die auf den fünf Toiletten des Gymnasiums ihre Gedärme geleert hatten, von Direktor Brink bis zu den Erstklässlern, von Konrektorin Mowinckel bis zu den Kantinenfrauen. Das beheben wir, versprach Direktor Brink, als er in seinem Büro mit Arvid Lunde redete. Beide hielten sich während des Gesprächs die Nase zu. Es ist nicht wegen des Gestanks, sagte Arvid Lunde mit komischer Stimme, da seine Nasenflügel zusammengepresst waren. Weswegen denn sonst?, fragte Brink. Man hat mir eine Stelle in Oslo angeboten, sagte Lunde. Der Umzugswagen kommt nächste Woche, sagte er. Er hatte seine Vergangenheit bereits in Kartons gepackt, hatte die letzten Tage genutzt, um die Vergangenheit von der Zukunft zu trennen. Arvid Lunde hatte schon lange über eine Kündigung nachgedacht. Der Exkrementengestank musste ihn in seiner Entscheidung bestärkt haben. Er war Multimillionär, er konnte nicht in

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