Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
einsteigen und einen Schritt weitergehen. Norwegen erlebt seinen ersten Börsenboom, und es wäre unentschuldbar, dabei nur zuzuschauen. C. Conroy Sons & Co hat sich Arvid Lunde geangelt, um eine Investmentgesellschaft aufzubauen. Eins sollten Sie wissen, Lunde, an Sie werden große Erwartungen gestellt, sagte der Direktor, als er seinen neuen Mitarbeiter willkommen hieß. Nennen Sie mich CC, hatte Christian Christiansen beim Bewerbungsgespräch gesagt. CC war dank diverser Zeitungsartikel auf die Gabe des Oddaer Studienrats, dem Markt vorauszueilen, auf seine seriöse Haltung bei Geschäften und seine analytischen Fähigkeiten aufmerksam geworden. Der Direktor hatte klargestellt, dass er natürlich so viele Kronen wie möglich in der Kasse der C. Conroy Sons & Co sehen wollte, aber auch Arvid Lunde sollte sein Portfolio bekommen. Christiansen hielt es für äußerst wichtig, dass sein neuer Mitarbeiter selbst an der Börse spekulierte, nur so ließe sich vermeiden, dass er sich passiv und zurückhaltend verhielt, ein Mann musste vergessen, was Risiko war. Direktor Christiansen hatte sich auf dem Bürostuhl vorgebeugt: Wir dürfen nicht vergessen, dass nur diejenigen die Welt verändern, die das Kapital arbeiten lassen! Heute war der Mann ein Held, der nicht arbeitete. Der Sinn von Arbeit wurde gerade demontiert. Früher ging es bei Politikern, Ökonomen und Direktoren darum, wie die Leute von der Arbeit der anderen lebten, Arbeit und Kapital zusammen schufen Werte, jemand musste die Visionen und den Willen haben, aber jemand musste auch am Morgen aufstehen und die Arbeit machen. Doch was hält länger an? Irgendwann sind die Arbeiter erschöpft und kaputt. Wenn sie Glück haben, gehen sie mit einer goldenen Uhr am Handgelenk durchs Tor. Wenn sie Glück haben, bekommen sie ein paar Dankesworte und ein paar Schnittchen in der Kantine. Eine Aktie geht nie in Rente, eine Aktie macht nie Urlaub, eine Aktie ruft nie an, um sich krankzumelden. Arvid Lunde sollte sich nicht länger mit Geschichte beschäftigen, sondern vorhersagen, wie sich die Welt entwickeln würde. Er kannte nicht nur die Zukunft, er war die Zukunft, ein begehrter Mann.
Er schlief unruhig in Cochs Pensjonat . In fremden Betten schlief er immer unruhig. Er brauchte drei bis vier Wochen, um sich an die Matratze und das Kissen zu gewöhnen. Am ersten Abend im Cochs hatte er die Rezeption angerufen und um eine Fernbedienung für den tragbaren Fernseher auf der Kommode gebeten. Er sah gern fern, wenn er in einer Pension oder einem Hotel eingecheckt hatte, vor dem Fernseher zu sitzen vertrieb ansatzweise das Gefühl von Einsamkeit und Rastlosigkeit. Die Frau von der Rezeption klopfte an der Tür, und Arvid Lunde machte auf. Er nahm die Fernbedienung entgegen und bedankte sich. Sie blieben noch einen Moment stehen und sahen sich an. War sonst noch was?, fragte die dunkelhaarige Frau.
Ein paar Wochen später versuchte er sie anzumachen. Sie sei eine interessante Frau, sagte er. Sie sehe hübsch aus, wenn sie lächle, sagte er. Er wolle mit ihr schlafen, sagte er. Sie schlafe normalerweise nicht mit Gästen, das sei unprofessionell, sagte sie. Außerdem wäre es ein Riesenaufwand, mit wie vielen Gästen müsste sie dann schlafen, und sollte das etwa ein generelles Angebot für alle sein? An den Abenden, an denen die Frau Dienst hatte, blieb er bei ihr stehen, und sie unterhielten sich miteinander. Sie war aus Hammerfest, studierte Jura und arbeitete abends im Cochs . Eines Abends spät hörte Arvid Lunde endlich ihre Schritte im Flur, klack, klack, klack, auf dem Holzfußboden, die Jurastudentin blieb vor Zimmer 304 stehen und klopfte an. Eigentlich bin ich kein Nachtmensch, sagte Arvid Lunde lächelnd, als er aufmachte. Sie wandte ihm den Rücken zu, während sie sich auszog. Auch er zog sich aus, und als er sich umdrehte, sah er, dass sie ins Bett gekrochen war und auf ihn wartete. Warum bist du nicht früher gekommen?, fragte er. Ich habe seit Anfang der Achtzigerjahre auf dich gewartet. Nach dieser Nacht schlief Arvid Lunde gut. Am Morgen stand er auf, ging quer über die Straße und gönnte sich ein Brötchen und eine Tasse Cappuccino. Dann schlenderte er durch den Schlosspark mit den roten und gelben Blättern auf dem Boden, ging die Karl Johans Gate hinunter, am Parlamentsgebäude vorbei zu einem staubigen Bürogebäude in der Tollbugata, wo er seinen Mantel an den Garderobenständer hängte und die Sekretärin mit einem guten Morgen begrüßte. Ein
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