Ein ehrliches Angebot: Roman (German Edition)
sagte die Norwegischlehrerin, an Arvid Lunde gewandt, wem dienst du? Hör auf, sagte der Sportlehrer und prostete ihr mit einem Martell zu. Die Norwegischlehrerin erwiderte, ihr Räsonnement sei ganz einfach: Solange sie hier im Whirlpool saßen, solange wären alle im Durchschnitt Millionäre. Sobald aber Arvid Lunde gehen sollte, wären sie zurück auf Gehaltsstufe 32. Das ist Kapitalismus, sagte die Norwegischlehrerin und leerte ihr Glas.
Ich beneide Sie, seufzte Direktor Brink, als nur noch er und Lunde im Whirlpool saßen. Ich beneide Sie um Oslo. Ich beneide Sie um die Restaurants, die Kneipen, die Konditoreien. In Oslo kriegt man wenigstens eine gute Tasse Kaffee, nicht wahr? Brink hob das Cognacglas und studierte sein Gesicht, das sich darin spiegelte. Aber wir haben es hier auch nicht so übel, oder? Das dort drüben ist Rollrasen, den habe ich an einem Nachmittag ausgerollt, ist das nicht unglaublich? Arvid Lunde sagte nichts. Ich grille gern, sagte Direktor Brink. Ich arbeite gern im Garten, führe gern den Hund aus. Die kleinen Sorgen des Alltags verschwinden, sobald ich ein paar Kilometer mit dem Hund gehe. Er prostete Lunde zu. Und ich trinke gern. Am Wochende trinken Elise und ich. Dann tanzen wir. Nächste Woche werde ich 48. Das müssen Sie erst mal schaffen, Lunde. Das müssen Sie erst mal schaffen.
Keine Armee der Welt kann eine Idee aufhalten, wenn die Zeit für sie reif ist. Arvid Lunde sang leise vor sich hin. Der Flugzeugsitz roch neu, die Stewardess strahlte, und alles in seiner Reichweite glänzte, als sie Fornebu anflogen. Die Lichter der Hauptstadt lagen unter ihm wie Schmuck, den jemand aus dem Schmuckkästchen eines Mädchens genommen und verstreut hatte. Unterwegs hatten sie Hardanger überflogen, und von Sitz 3F aus hatte Arvid Lunde auf den Fjord und den Gletscher gestarrt und einen Blick auf Odda erhascht, das in der blauen Dämmerung zwischen den Frauenbeinen lag. Lunde hatte sich im Alphabet vorgearbeitet, von Odda zu Oslo, vom Lehrer zum Millionär, von Samstag zu Sonntag. So sollte es sein. Die Saganacht der Nationalhymne hatte ihre Träume auf das Land sinken lassen, sie hatte sich zwischen Jung und Alt, Hoch und Tief gewunden, sie hatte ihnen ins Ohr geflüstert: Was sagen Sie zu einem Spaziergang, Mister?
Am Montagmorgen steht Arvid Lunde in einer Stadt auf, weiß wie Papier, in der sich die Leute gegenseitig wecken, vorsichtig Arme und Beine strecken. Augen werden geöffnet, Zeitungen aufgeschlagen, Kühlschränke aufgemacht. Der Verkehr läuft an, schiebt sich ruckweise vorwärts, die Kräne am Hafen kommen langsam in Bewegung. Männer wischen sich den Rasierschaum ab, Frauen tragen eine Schicht Schminke auf, Erwachsene bringen Kinder zur Schule, bevor sie sich fertigmachen, um stundenlang am Schreibtisch zu sitzen. In Zimmer 304 in Cochs Pensjonat zieht Arvid Lunde die Vorhänge auf, blickt auf den Hinterhof und die Bäume im Schlosspark, die Sonne scheint, ihm schwillt die Brust. Er putzt sich die Zähne, zieht seinen Anzug an, knotet die Krawatte, eine Krawatte muss her, die Krawatte signalisiert Respekt für den Tag und das, was kommt. Dann tritt er hinaus in den glänzenden Morgen.
Wie sieht ein normaler Tag für einen Investor aus? Wir haben keine Ahnung, stellen es uns aber vor: Die Tage kommen mit Telefonaten und Sitzungen daher, sind vollgestopft mit Zahlen, Spekulationen und Gerüchten. Ein Investor muss in Statistiken und Graphiken eine Art Kunstwerk sehen, eine große Materialsammlung, die gedeutet und bewundert werden will, Investoren müssen das Kunstwerk auf sich wirken lassen, dichter rangehen, etwas zurücktreten, dann müssen sie eine Schlussfolgerung ziehen und ganz unten ein Preisschild drankleben. Ein Investor ist ein Lauschposten, einer, der aus Besprechungszimmern, Restaurants und Bars, aus Hotelzimmern und Flughafenterminals, aus Lobbys und Bürolandschaften Signale empfängt. Ein Investor ist ein Gerüchtekocher, einer, der Klatsch und Tratsch, Lügen, Geheimnisse und Geschichten erzählt. Hast du schon gehört? Wusstest du schon? Willst du einen guten Tipp? Niemals abschalten, stets zuhören, stets reden. Auch wenn ein Investor seinen Kopf lüftet oder pinkeln geht, muss er aufmerksam und offen sein. Arvid Lunde hat eine Stelle bei C. Conroy Sons & Co gefunden, einem kleinen, soliden Familienunternehmen, das seit 1918 in der Versicherungsbranche tätig ist. Das Unternehmen handelt auch mit Gold und Silber, aber jetzt will es in die neue Zeit
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