Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
Wohnung. Als sie klingelten, öffnete ihnen nicht Mrs. Gillespie, sondern Helena Profitt, gekleidet in dezentes Schwarz - Rock, Strumpfhose und Schuhe - und eine schlichte weiße Bluse.
»Ich bin gekommen, sobald ich davon gehört habe«, erklärte sie, während sie die Beamten ins Haus führte. Sie schien überrascht zu sein, Rebus zu sehen. Er dachte: Bald fällt’s auf, wenn wir uns weiter treffen.
»Zwei Polizisten möchten Sie sprechen, Audrey«, sagte Miss Profitt, als sie die Wohnzimmertür öffnete.
Es war ein großer heller Raum, der von zwei deckenhohen Bücherregalen beherrscht wurde. Der Fernseher
machte einen wenig benutzten Eindruck, und obwohl es einen Videorecorder gab, konnte Rebus nicht mehr als ein halbes Dutzend Kassetten sehen. An einem Ende des Zimmers standen ein riesiger, mit Papieren und Akten bedeckter Schreibtisch und ein Beistelltisch, auf dem sich Telefon und Faxgerät befanden. Der Raum schien nicht viel mehr als ein Anbau des Arbeitszimmers im vorderen Teil der Wohnung zu sein, was Rebus bezüglich des Gillespie’schen Familienlebens - oder besser gesagt, des Mangels eines solchen - zu denken gab.
Gillespies Witwe saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Sofa. Sie hatte Anstalten gemacht aufzustehen, aber Davidson bedeutete ihr, Platz zu behalten. Sie sah aus, als hätte sie überhaupt nicht geschlafen. Auf dem Fußboden stand ein leerer Becher, daneben ein kleines braunes Fläschchen mit Tabletten. Trotz der Zentralheizung zitterte Audrey Gillespie.
»Soll ich Tee machen?«, fragte Helena Profitt.
»Nicht für uns, danke«, antwortete Davidson.
»Schön, dann lass ich Sie jetzt allein. Soll ich später wieder vorbeisehen, Audrey?«
»Nur wenn’s nicht zu viele Umstände macht.«
»Natürlich nicht.« Ihre Augen waren vom Weinen rot. Rebus durchschaute ihre scheinbare Gefasstheit, sah, dass sie in Wirklichkeit fix und fertig war. Er folgte ihr nach draußen.
»Könnten Sie in der Küche warten? Ich würde gern ein paar Worte mit Ihnen reden.«
Sie nickte zögernd. Rebus ging ins Wohnzimmer zurück und setzte sich neben Davidson.
»Erinnern Sie sich an mich, Mrs. Gillespie?«, fragte Davidson gerade. »Wir haben uns letzte Nacht gesehen.«
Davidson war gut, besser als viele andere Polizisten. Man musste mit anderer Leute Trauer umgehen können,
abschätzen, was und wie man es sagen konnte, erkennen, wie viel die Leute auszuhalten in der Lage waren.
Audrey Gillespie nickte und sah dann Rebus an. »Und Sie kenne ich doch auch, oder?«
»Ich war einmal hier, um mit Ihrem Mann zu reden.« Rebus bemühte sich, Davidsons Ton zu treffen.
»War der Arzt bei Ihnen, Mrs. Gillespie?«, fragte Davidson.
»Er hat mir Pillen zum Schlafen gegeben. Als ob ich schlafen könnte.«
»Aber es geht Ihnen so weit gut?«
»Ich...« Sie suchte nach den Worten, die von ihr erwartet wurden. »Es geht schon, danke.«
»Fühlen Sie sich imstande, noch ein paar Fragen zu beantworten?«
Sie nickte, und Davidson entspannte sich ein bisschen. Er holte seinen Notizblock heraus und blätterte darin.
»So«, begann er, »letzte Nacht sagten Sie, Ihr Mann sei aus dem Haus gegangen, um sich mit einem Wähler zu treffen - das hat er Ihnen erzählt, ja?«
»Ja.«
»Aber er sagte nicht, wo er sich mit diesem Wähler treffen würde?«
»Nein.«
»Auch nicht, wie der Wähler hieß?«
»Nein.«
»Oder worüber sie sprechen mussten?«
Sie zuckte die Achseln, versuchte sich zu erinnern. »Wir haben wie gewohnt um acht gegessen. Ich hatte geschmortes Huhn gekocht, Toms Lieblingsgericht. Er aß zwei Teller davon. Danach dachte ich, er würde sich entweder in sein Arbeitszimmer setzen - er hatte immer was zu arbeiten - oder Zeitung lesen. Er sagte aber, er müsse noch mal weg.«
»Hat es Sie überrascht, dass er in Dalry aufgefunden wurde?«
»Sehr. Wir kennen niemanden in diesem Teil der Stadt. Warum sollte er mich anlügen?«
»Na ja«, warf Rebus ein, »es gab durchaus Dinge, die er vor Ihnen geheim hielt, oder?«
»Was meinen Sie damit?«
Davidson warf Rebus einen warnenden Blick zu, sodass Rebus einen etwas sanfteren Ton anschlug.
»Ich meine, an dem Tag, als ich herkam, waren Sie gerade dabei, Papiere zu vernichten - ganze Säcke davon -, mit einem Aktenschredder, den ihr Mann eigens dafür gemietet hatte.«
»Ja, ich erinnere mich. Tom sagte, er hätte im Arbeitszimmer allmählich keinen Platz mehr. Es waren uralte Sachen. Wie Sie selbst sehen können, liegt hier ziemlich viel Papierkram
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