Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
während sie ihren Vater, genauso wie er sie, im Rückspiegel beobachtete.
Also stiegen Rebus und Duggan aus.
Rebus ging bis an den äußersten Rand der asphaltierten Fläche. Man hatte hier einen wunderbaren Ausblick auf die zwei Brücken und die Küste von Fife jenseits davon. Außerdem pfiff einem der Wind ganz ordentlich aus sämtlichen Richtungen um die Ohren. Den Kopf in den Mantel gesteckt, gelang es ihm beim sechsten Versuch endlich, sich eine Zigarette anzuzünden.
Paul Duggan stand ein Stück abseits, den Arm auf das angelaufene Metall eines Münzfernrohrs gestützt. Rebus kümmerte sich nicht um ihn und starrte in die Landschaft. Die vorüberfegenden Wolken sahen aus, als hätten sie ein paar Wirtshausschlägereien hinter sich.
Dann gesellte sich Duggan zu ihm. »Denken Sie an Willie und Dixie?«, fragte er. Rebus warf ihm einen Blick zu, schwieg jedoch.
»Ich bin nicht völlig hohl, Inspector.«
»Ich habe darüber nachgedacht, dass sie mich in diese ganze Sache reingezogen haben. Mit ihrem Selbstmord. Sie haben mich zum Nachdenken gebracht … dazu, mir Fragen zu stellen. Als McAnally sich umbrachte, war ich schon neugierig genug, um mich zu fragen, warum.« Er lächelte. »Du weißt überhaupt nicht, wovon ich rede.«
Duggan zuckte lediglich die Schultern. »Aber ich hör
zu.« Dann schwiegen sie beide eine Zeit lang. Duggan scharrte mit der Schuhspitze am Bordstein. »Dieser ganze Ärger, den ich hab, mit Polizei und Stadt und so...«<
»Du meinst, ich könnte dir helfen?«
»Ich weiß nicht.«
Es war seltsam, dass Kirstie aus einem beengenden Zuhause ausgebrochen war, nur um in einem anderen zu landen, aber Rebus glaubte, den Grund dafür zu kennen. Nach dem Tod Willies und Dixies war sie völlig zusammengebrochen. Für sie hatten die beiden das »wirkliche Leben« bedeutet, ein Leben fernab von ihrem Vater und dessen politischen Machenschaften.Willie und Dixie waren die andere Seite der Medaille gewesen, eine Seite, die sie lieb gewonnen hatte, ja vielleicht sogar bewunderte. Und sie hatte die beiden in den Tod getrieben, woraufhin es mit ihr unaufhaltsam bergab gegangen war, bis sie begriff, dass sie Schutz und Hilfe brauchte. Paul Duggan war für sie da gewesen, ebenso seine Eltern.
»Ich glaube«, dachte Rebus laut, »ich weiß, warum sie ›Dalgety‹ auf diese Akte gekritzelt hat. Wenn ihr Vater das Lösegeld gezahlt hätte - möglicherweise aber auch sonst -, hätte sie ihm den LABarum-Plan zurückgeschickt. Es sollte eine Warnung sein, die Mitteilung, dass sie etwas wusste und er sie in Ruhe lassen sollte, wenn er nicht wollte, dass sie das der ganzen Welt verkündete.«
»Vielleicht vergessen Sie Kirstie mal für einen Moment - was ist mit mir?«
»Jeder muss bezahlen, Paul«, erwiderte Rebus, ohne ihn anzusehen. »So läuft das nun mal.«
»Ja, klar«, sagte Duggan verächtlich. »Und wenn ich irgend so’n reicher Scheißer wär, der auf der Fettes School war, müsste ich genauso bezahlen, stimmt’s? Ich würd genauso behandelt werden wie irgendein Gesamtschulunderdog aus Oxgangs? Jetzt kommen Sie schon, Inspector,
Kirstie hat mir erzählt, wie’s läuft, wie das System funktioniert.«
Er wandte sich ab und schlurfte davon.
Er hatte sicher nicht Unrecht, und Rebus hätte ihm das auch gern gesagt, nur beschäftigten ihn im Moment andere Dinge. Er steckte sich eine zweite Zigarette an. Duggan ging zu dem Ford Capri und spähte hinein. Er versuchte sein Glück bei einer Tür, öffnete sie und stieg ein. Schutz gefunden. Manche Leute glaubten, die Schotten seien ein Produkt ihres Wetters: lange düstere Perioden, von kurzen sonnigen, freundlichen Phasen unterbrochen. An der Theorie war bestimmt was dran. Man konnte sich kaum vorstellen, dass der Winter jemals aufhören würde, und doch wusste er, dass es so war - aber eigentlich nur mit dem Kopf. Eine Glaubensfrage, wie der alte Priester gesagt hätte, oder vielleicht auch gerade das Gegenteil von Glauben. Rebus war schon eine ganze Weile nicht mehr in der Kirche gewesen, und ihm fehlten die Gespräche mit Pater Leary. Die Kirche selbst fehlte ihm nicht, weder die aus Stein noch die andere. Leary hätte, was Selbstmord anbelangte, sei’s der abstrakte Begriff, sei’s dessen praktische Umsetzung, nicht lange nachdenken müssen: Selbstmord war eine schlimme Sünde, Punkt. Auch Beihilfe zum Selbstmord war eine Sünde, und um keinen Deut weniger abscheulich.
Aber als Rebus’ Mutter zum letzten Mal krank geworden war, hatte sie
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