Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
seinen Vater um Erlösung angefleht. Und eines Tages war der junge John ins Zimmer gekommen und hatte seinen Vater auf ihrer Bettkante sitzen sehen. Sie schlief, nach Atem ringend und mit rasselndem Brustkorb, und sein Vater saß da mit einem Kissen in den Händen … sah dieses Kissen an, dann seinen Sohn und wollte von ihm wissen, was er tun sollte.
Wenn er nicht hereingekommen wäre, hätte sein Vater es vielleicht getan, hätte sie vielleicht von ihrem Elend erlöst.
Stattdessen musste sie sich noch wochenlang quälen.
Er wandte sich vom Forth ab und spürte, wie sein Blick verschwamm. Er schaute nach oben, schluckte die Tränen hinunter und ging dann zu dem verlassenen Wagen. Drinnen weinte Paul Duggan.
»Sie waren auch meine Freunde«, heulte er. »Und ihr dämlicher Plan hat sie umgebracht! Und trotzdem kann ich sie deswegen nicht hassen … kann nicht mal sauer auf sie sein.«
Rebus legte Duggan die Hand auf die Schulter.
»Niemand hat sie umgebracht«, sagte er leise. »Sie haben sich selbst dafür entschieden.«
Sie blieben noch eine Weile da sitzen, vor dem Wind geschützt, in geborgter Geborgenheit.
Anschließend fuhr Rebus sie wieder in die Stadt. Die Teenager im Fond hatten beide verweinte Augen; die zwei Männer vorn nicht. Diese Tatsache machte ihn nicht stolz. Als er an der Abzweigung zum Haus der Kennedys vorbeifuhr, hatte der Lord Provost keine Einwände. Schließlich hielt Rebus vor dem Haus von Duggans Eltern.
»Wo sind wir hier?«, fragte Kennedy.
»Kirstie wohnt hier bei netten Leuten«, erklärte Rebus.
Der Lord Provost wandte sich zu seiner Tochter um. »Du kommst nicht heim?«
»Noch nicht«, sagte sie, so als müsste sie sich jedes einzelne Wort mühsam abringen.
»Sie hatten gesagt, Sie würden sie zurückbringen.«
»Ich habe nicht gesagt, dass sie auch bleiben würde«, entgegnete Rebus. »Kirstie muss selbst entscheiden, ob und wann.«
Sie stieg schon aus dem Auto aus, ebenso Duggan. Auf dem Bürgersteig klappte sie zusammen und würgte schaumigen Speichel aus.
»Sie hat was«, sagte Kennedy. Er war schon dabei, seine Tür zu öffnen, aber Rebus fuhr abrupt los und fädelte sich wieder in den Verkehr ein.
»Sie wissen, was sie hat«, sagte er. »Jetzt ist sie auf Entzug, und ich denke, sie wird es schaffen.«
»Heißt das«, sagte Kennedy kalt, »dass sie es zu Hause nicht schaffen würde.«
»Was glauben Sie? «, entgegenete Rebus und ließ es dabei bewenden.
»Wo fahren wir hin?«
»Eins der schönen Dinge an Edinburgh, Lord Provost - es ist nirgendwo weit bis zum nächsten ruhigen Fleckchen. Wir beide werden jetzt einen kleinen Plausch halten. Zumindest werden Sie plaudern, und ich werde zuhören.«
Er fuhr um den Fuß der Salisbury Crags herum und hinauf zu einem Parkplatz knapp unterhalb des Gipfels vom Adam’s Seat. Es waren schon ein paar Autos da; die dazugehörigen Eltern und Kinder trotzten draußen dem Orkan. Sie hätten es wahrscheinlich »sich einmal tüchtig durchpusten lassen« genannt.
Rebus und der Lord Provost blieben im Wagen sitzen, und der Lord Provost redete, so wie es vereinbart war. Anschließend fuhr Rebus ihn wieder nach Hause.
Oben auf dem Hügel stand ein Mann. Er reparierte gerade eine Mauer.
Rebus folgte langsam der aufsteigenden Linie der Trockensteinmauer. Er befand sich zwischen Edinburgh und Corlops, in den Ausläufern des Pentland-Gebirges. Da oben war man dem Wind und der Kälte hilflos ausgeliefert, aber als Rebus sich dem Gipfel näherte, war er schweißgebadet. Der Mann sah ihn zwar kommen, fuhr aber unbeirrt mit seiner Arbeit fort. Neben ihm lagen drei Haufen verschieden großer und unterschiedlich geformter Feldsteine.
In Abständen nahm er einen davon auf, befühlte ihn, sah ihn prüfend an und legte ihn dann entweder auf seinen Haufen zurück oder fügte ihn in das Trockenmauerwerk ein. Sobald ein neuer Stein in der Mauer saß, begann die Prozedur von neuem. Rebus blieb stehen, um Atem zu schöpfen, und beobachtete den Mann. Es war die penibelste Arbeit, die man sich vorstellen konnte, und am Ende würde die Mauer durch nichts anderes zusammengehalten werden als durch die kunstvolle Anordnung ihrer Elemente.
»Das muss ein aussterbendes Handwerk sein«, bemerkte Rebus, als er den Gipfel erreicht hatte.
»Wer sagt das?« Der Mann wirkte belustigt.
Rebus zuckte die Achseln. »Elektrozäune, Stacheldraht; es dürfte nicht mehr viele Bauern geben, die Trockensteinmauern brauchen.« Dann fügte er hinzu: »Oder
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