Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
nur für ein paar Tage. Damit ich mal durchschnaufen kann. Das«, sagte sie und breitete die Arme aus, »ist mein Winterurlaub.«
Durch ihre Bewegungen hatte sich ihr Bademantel geöffnet. Sie schien es nicht zu merken, und Rebus versuchte, nicht hinzusehen. Männer, dachte er, sind doch blöde Schweine.
»Möchten Sie was trinken?«, fragte sie. »Oder ist es für Sie noch zu früh?«
»Was dem einen früh, ist dem anderen spät.«
Sie verschwand in der Kochnische. Rebus stand auf und musterte das Sortiment von mehr oder weniger verschreibungspflichtigen Medikamenten, das auf dem Kaminsims stand. Er fand ein Fläschchen Paracetamol und schüttelte sich zwei Tabletten in die Hand.
»Anstrengende Nacht gehabt?«, fragte sie, als sie mit zwei Flaschen zurückkam.
»Zahnschmerzen«, erklärte er. Er nahm die schlanke Flasche. Sie war eiskalt.
»San Miguel«, erklärte sie. »Spanisches Lager. Wissen Sie, was ich mache?« Sie setzte sich wieder hin, jetzt mit gespreizten Beinen, und stützte die Ellbogen auf die Knie. »Ich dreh den Heizofen so weit es geht auf, mach die Augen zu und stell mir vor, ich wär in Spanien, am Pool von irgendeinem Luxushotel.« Sie schloss die Augen, um es ihm vorzuführen, und hielt das Gesicht in eine imaginäre Mittelmeersonne.
Rebus spülte die zwei Tabletten mit einem Schluck Lager hinunter. »Trotzdem tut es mir wegen Ihrer Mutter Leid«, sagte er.
Sie schlug die Augen auf, nicht gerade erfreut, aus ihrer Träumerei herausgerissen zu werden. »Alle erzählen mir, was für eine Heilige ich doch bin.« Sie ahmte eine viel ältere Frau nach. »›Sin nich viele wie du, Kind.‹ Stimmt, es sind nicht viele so doof wie ich. Es gibt doch Leute, die behaupten, das Leben würde an ihnen vorbeigehen. Nun, bei mir trifft’s haargenau zu. Ich sitz auf dem Nachtstuhl zwischen ihrem Bett und dem Fenster und starr stundenlang runter auf die Straße, hör auf ihre Atmung, warte darauf, dass sie aufhört.« Sie sah zu ihm hinüber. »Schockiert Sie das?«
Er schüttelte den Kopf. Seine Mutter war auch bettlägerig gewesen; er kannte das Gefühl. Aber er war nicht zwecks Erfahrungsaustauschs hergekommen.
»Wenn Sie so den ganzen Tag am Fenster sitzen«, sagte er, »müssten Sie doch Mr. McAnally kommen und gehen gesehen haben?«
»Ja, hab ich.«
»Sie mögen ihn nicht, stimmt’s?«
»Stimmt.« Sie stand abrupt auf.
»Aber Mrs. McAnally ist in Ordnung?«
Sie hatte sich zur Kochnische gewandt, blieb aber dann stehen und drehte sich wieder zu ihm um. »Ich bin nicht die Heilige; diese Frau ist die Heilige! Sie hat gelitten, Sie haben keine Ahnung, was sie durchgemacht hat.«
»Ich kann’s mir vorstellen.«
Sie hörte ihm gar nicht zu. »Mit einem solchen Vieh verheiratet zu sein.« Sie sah ihn an. »Wissen Sie, was er mir angetan hat?« Rebus nickte, und sie trat verblüfft einen Schritt zurück. »Sie wissen es?«, fragte sie leise. »Sind Sie deswegen hier?«
»Ich bin hier, weil mich die Neugierde drückt, Miss Finch. Ich meine, Sie wohnen immer noch direkt nebenan, Sie sind mit seiner Frau befreundet...«
»Was? Glauben Sie etwa, Mum und ich würden nur wegen... wegen dem wegziehen?«
»Was in der Art, ja.«
»Man hat ihr einen Platz in einem Pflegeheim angeboten, aber in Grafton. Wir haben schon immer in Tollcross gewohnt. Und da werden wir auch bleiben.«
»Diese letzte Woche muss doch ziemlich unangenehm gewesen sein.«
»Ich bin ihm aus dem Weg gegangen. Und Sie können Gift darauf nehmen, dass er mir erst recht aus dem Weg gegangen ist.« Sie stand jetzt neben dem Fenster, den Rücken an die Wand gelehnt, als wolle sie nicht gesehen werden, und starrte hinunter auf die Straße. »Er hat sich’s redlich verdient.«
Rebus runzelte die Stirn. »Sie meinen, dass er sich das Leben genommen hat?«
Sie sah ihn an und blinzelte. »Das hab ich gemeint.« Dann lächelte sie und führte die Flasche an die Lippen.
11
Die Ballistikabteilung des Kriminaltechnischen Labors Howdenhall entsprach nicht Rebus’ Vorstellung von einer netten Umgebung. Für seinen Geschmack lagen da viel zu viele Schusswaffen herum. Er las den Bericht und richtete seinen Blick auf den weiß bekittelten Wissenschaftler, der ihn erstellt hatte. Die andere Sache, die Rebus an Howdenhall missfiel, war, dass die kriminaltechnischen Eierköpfe alle wie grade mal neunzehn aussahen. Sie saßen seit mittlerweile einem Jahr in ihrem schicken neuen Gebäude und platzten noch immer vor Selbstzufriedenheit. Die
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