Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
ein.
»Früher wäre besser«, sagte er.
»Früher ist nicht möglich«, erwiderte die Sekretärin.
An dem Abend fuhr er nach der üblichen Pub-Sitzung mit Doc und Salty raus zur Forth Road Bridge, parkte und ging zu Fuß auf die Brücke. Zur Abwechslung einmal heulte kein Orkan, es wehte nur eine leichte Brise. Es gab keinen Mond, und die Temperatur war immer noch ein, zwei Grad über null. Man hatte die Brücke nach Durchführung einiger provisorischer Reparaturarbeiten wieder für den Verkehr freigegeben. Wie eine statische Überprüfung ergab, war die Konstruktion nicht ernsthaft beschädigt worden; wenn der Sattelschlepper eine der dicken Stahltrossen zerrissen hätte, wäre es allerdings eine andere Sache gewesen.
Nach der Wärme im Pub und in seinem Auto fröstelte er. Er stand ein paar Meter von der Stelle entfernt, an der die Jungen gesprungen waren. Der Bereich war durch mit Sandsäcken verankerte Metallgitter abgesperrt worden. Zwei gelbe Sturmlaternen markierten die Gefahrenzone. Jemand war über die Absperrung geklettert und hatte neben das durchbrochene Geländer einen kleinen Kranz niedergelegt und mit einem Stein beschwert. Er sah hinauf zur Spitze des einen der zwei gigantischen Pylonen, an der zur Sicherung des Flugverkehrs rote Warnlichter blinkten. Er empfand eigentlich nur ein leichtes Gefühl von Einsamkeit und Selbstmitleid.Tief unten lag der Forth, so unparteiisch wie Pilatus. Es war komisch, was einen alles umbringen konnte: Wasser, ein Schiffsdeck, Stahlkügelchen aus einer Kunststoffhülse. Es war komisch, dass manche Leute sich tatsächlich zum Sterben entschlossen .
»Ich könnte das nie«, sagte Rebus laut. »Ich könnte mich nicht umbringen.«
Was nicht heißen sollte, dass er nie daran gedacht hätte. Es war komisch, was einem in manchen Nächten so alles durch den Kopf ging. Es war alles so komisch, dass er allmählich einen Kloß im Hals verspürte. Es ist nur der Alkohol,
dachte er. Es ist der Alkohol, der mich rührselig macht. Es ist nur der Alkohol.
13
Leute, die darüber so gut wie gar nichts wussten, bezeichneten Edinburghs Drop-in-Center gelegentlich als »Drogenbeschaffungsstellen«. Rebus wusste, dass Polizisten dort nicht zu den willkommensten Gästen zählten, und so meldete er sich lieber telefonisch an.
Er kannte den Mann, der das Center hinter der Waverley Station leitete. Rebus hatte ihm einmal einen Gefallen getan und einen Heroinabhängigen zu ihm gebracht, der auf der Nicolson Street mit Cold Turkey zusammengebrochen war. Manche Beamte hätten den armen Teufel zu einer kleinen Abreibung und einem langen Horrortrip in der Ausnüchterungszelle aufs Revier geschleppt. Rebus aber hatte ihn dorthin gebracht, wo er hinwollte: ins Drop-in-Center Waverley. Wie sich herausstellte, war er auf Entzug gewesen, und zwar ohne jede ärztliche Unterstützung.
»Wie geht’s ihm?«, fragte Rebus Fraser Leitch, den Leiter und Oberguru des Centers.
Leitch saß, umgeben von Papierkram, in seinem muffigen Büro. Die Regale hinter seinem Schreibtisch bogen sich unter der Last von Aktenordnern, Schubladenboxen, Zeitschriften und Büchern. Fraser Leitch kratzte sich den grau melierten Bart.
»Als ich zuletzt von ihm hörte, ging’s ihm ganz gut. Hat auf Zimmermann umgeschult und auch tatsächlich einen Job gefunden. Da sehen Sie’s, Inspector, manchmal funktioniert das System.«
»Oder er ist die Ausnahme, die die Regel bestätigt.«
»Der ewige Pessimist.« Leitch stand auf und kauerte sich
vor ein Tablett, das auf dem Boden lag. Er vergewisserte sich, dass Wasser im Kocher war, und schaltete ihn ein. »Ich sag Ihnen was: Wetten, dass Sie hier sind, um über Willie Coyle und Dixie Taylor zu reden.«
»Ich müsste ja blöd sein, um auf so eine Wette einzugehen.«
Leitch lächelte. »Sie wissen, dass Dixie gedrückt hatte?« Rebus nickte. »Nun, soweit mir bekannt ist, war er mit Willies Hilfe seit einigen Monaten clean.«
»Sein Besteck lag immer noch unter seinem Bett.«
Leitch löffelte mit einem Achselzucken Kaffee in zwei Becher. »Die Versuchung bleibt. Ich geh noch eine Wette mit Ihnen ein: dass Sie Heroin noch nie ausprobiert haben.«
»Da haben Sie Recht.«
»Ich auch nicht, aber nach dem, was ich darüber gehört habe... Na ja, wie gesagt, die Versuchung hört nie auf.«
Rebus wusste, dass Fraser Leitch früher ein Alkoholproblem gehabt hatte.Was der Mann meinte, war:Wenn man’s erst mal hatte, wurde man’s nie wieder los, denn selbst wenn man trocken
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