Ein eisiger Tod - Ein Inspector-Rebus-Roman
Tasche und zog das Foto von Kirstie Kennedy heraus. »Ich weiß, dass es nicht sehr wahrscheinlich ist«, sagte er, »aber haben Sie die zufällig irgendwann mal im Center gesehen?«
»Das ist die Tochter des Lord Provost. Zwei Uniformierte haben nach ihr gefragt, direkt nachdem sie verschwunden war.«
»Das Foto ist nicht mehr ganz aktuell, inzwischen dürfte sie anders aussehen.«
»Dann bringen Sie mir ein neueres. Sie werden mir doch nicht erzählen wollen, dass die Eltern nur ein altes Foto haben?«
Als er Fraser Leitchs Büro verließ, dachte Rebus über diese Bemerkung nach. Der Mann hatte nicht Unrecht. Aber andererseits - wie viele Fotos hatte Rebus von seiner Tochter? Herzlich wenige, die nach ihrem zwölften Geburtstag aufgenommen worden waren. Er stand im kurzen dunklen Flur, dessen Wände halb mit Anschlagtafeln und halb mit Markerstift-Graffiti bedeckt waren. Rebus sah sich die Aushänge an. Eine Karte schien jüngeren Datums zu sein, noch ohne Eselsohren. Anders als die mit Kuli beschrifteten
war sie gedruckt. Überhaupt eine sehr feine Karte.
BILLIGE ZIMMER ZU VERMIETEN.
Darunter standen eine Telefonnummer und ein Name. Der Name war Paul. Rebus nahm die Karte von der Pinnwand und steckte sie in die Tasche, zu Kirstie Kennedys Foto.
Er warf einen Blick durch die zwei offenen Türen. In dem einen Zimmer standen vor einem Fernseher ein paar Reihen Plastikstühle. Der Fernseher war ein Schwarzweißgerät mit Dreißig-Zentimeter-Bildschirm. Ein Junge hockte davor und hielt die Zimmerantenne über seinen Kopf, während er aus vielleicht einem halben Meter Abstand auf den Bildschirm starrte. Ein anderer Junge saß schlafend auf einem Stuhl. Im zweiten Zimmer versuchten drei weitere Teenager, zwei Jungen und ein Mädchen, mit einem gesprungenen Ball, zwei Schlägern ohne Gummibezug und einem Taschenbuch Tischtennis zu spielen. Ihr Netz war eine Reihe hochkant aufgestellter Zigarettenschachteln. Sie spielten schweigend, ohne echte Begeisterung.
Auf den Stufen vor dem Eingang versuchten zwei andere Besucher des Centers ihn erst um Geld, dann um Zigaretten anzupumpen. Er verteilte ein paar Kippen und gab ihnen sogar Feuer.
»Mist, das mit Dixie, was?«, sagte er.
»Verpiss dich, Scheißbulle«, sagten sie und gingen hinein.
Wieder in seiner Wohnung, ließ Rebus die Zentralheizung endlich zur Ader und fing das Wasser in leeren Kaffeegläsern auf. Das war eins der komischen Dinge an der Wohnung gewesen, als er wieder umzog: haufenweise leere Kaffeegläser. Er hatte die Studenten eigentlich fragen wollen, warum es Schränke und Kartons voll von den Dingern gab.
Er ließ Rohre und Heizkörper wieder voll laufen, ohne so recht zu wissen, welchen Druck das Manometer vorne am Boiler anzeigen sollte. Als er die Anlage einschaltete, gaben die Rohre ein gurgelndes Geräusch von sich, und der Boiler erzitterte, als die Gasflammen losfauchten.
Er ging ins Wohnzimmer und legte eine Hand auf den Radiator. Er wurde warm, mehr aber auch nicht, selbst bei voll aufgedrehtem Thermostat. Und das Entlüftungsventil tropfte. Er drehte den Schlüssel so fest er konnte zu, aber es tropfte weiter. Er knotete einen Wischlappen am Schlüssel fest und führte dessen Ende in ein leeres Kaffeeglas. Dadurch würde das Wasser aufgesammelt werden und das Getröpfel nicht mehr zu hören sein.
Ja, John Rebus war nicht von gestern.
Er setzte sich bei ausgeschaltetem Licht in seinen Sessel, sah aus dem Fenster auf die Arden Street und dachte an Maisie Finch, an deren und seine eigene Mutter. Auf den Dächern und Motorhauben der parkenden Autos lag Reif. Eine Gruppe von fröhlich lachenden Studenten war auf dem Weg in ihre Buden. Rebus goss sich einen Whisky ein und sagte im Geist zu den Studenten, was für ein Glück sie hatten. Alle da draußen konnten sich glücklich schätzen. Alle, die im Freien übernachteten und Zigaretten schnorrten und sich den Kopf darüber zerbrachen, wie sie über die Runden kommen sollten. Alister Flower, der sich zähneknirschend im Schlaf wälzte; Gill Templer, die ruhig wie ein satter Säugling schlief; Frank Lauderdale, der sich unter seinem Gipsverband nicht kratzen konnte; Tresa McAnally, die Füße hoch, hingefläzt vor ihrer Glotze; Kirstie Kennedy... was immer sie gerade tun mochte. Die konnten sich allesamt glücklich schätzen.
Die ganze gottverdammte Stadt konnte sich glücklich schätzen.
Zwei
SCHNIPSEL
14
Am folgenden Dienstag war Rebus ungewöhnlich früh im Büro.
Aber nicht so
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