Ein Ende des Wartens
inneren Auge sah, das ihr im Flur des Eingangsbereiches aufgefallen war: es war ein großer Fotodruck eines Strandes mit einigen wenigen Strandkörben, die sich einem scharfen Küstenwind mit aller Macht entgegenwarfen. Im Hintergrund konnte man das aufschäumende Meer erkennen, dessen Wellen vom Wind gegen den Strand gepeitscht wurden.
Ohne dass sie einen Einfluss darauf hatte, waren Annikas Gedanken schlagartig bei Marco. Sie fragte sich, ob es ihm gut ginge, und vor allem, wie er in dem sandigen Afrika wohl zurechtkäme. Ob er auch eine angenehme Unterkunft vorfinden würde, wie die beiden Freundinnen hier im Norden? Was würde er wohl zu essen bekommen? Mit frischen Lebensmitteln konnte er wohl kaum versorgt werden. Zumindest nicht wie hier. Doch dann schlich sich eine Ahnung in Annikas Vorstellung, dass sie sich gerade darüber gar keine Vorstellung bilden konnte, wie es Marco wohl ging, wie er lebte und was ihn erwartete. Warum hatten sie beiden nicht darüber gesprochen? Warum hatten sie seine Abreise nur abgewickelt, anstatt sie inhaltlich aufzuarbeiten – von der emotionalen wie von der rein reisetechnischen Seite? War sie die ganze Zeit über so beleidigt – oder besser noch: geschockt – gewesen, dass sie nur daran dachte, wieso er Geheimnisse vor ihr hatte?
Mit diesen Gedanken, die sich auch im Halbschlaf nur im Kreis drehen konnten, schlug sie die Augen auf und erkannte sogleich, dass Tammy auf dem beistehenden Sessel ebenfalls eingenickt war. Annika versuchte so leise wie nur möglich aufzustehen und fühlte sich seltsam gerädert – wie sie sich immer fühlte, wenn sie zwar geschlafen hatte, aber außerhalb ihres eigentlichen Schlafrhythmus. Der Kreislauf fuhr erst langsam wieder hoch, und als sie eine Uhr fand, bemerkte sie, dass es kurz nach drei Uhr nachmittags war. Es blieb den beiden also genügend Zeit, auch an diesem Samstag noch etwas zu unternehmen.
Immer mit einem Blick auf die weiterhin schlafende Tammy schlich sich Annika in die Küche, von der aus über eine Anreiche man in das geräumige Wohnzimmer mit dem riesigen Esstisch sehen konnte. Auf einem Tresen fand sie eine Kanne, in der Tammy wohl Tee gemacht haben musste, bevor sie selbst eingenickt war. Der Tee war zwar kalt, aber Annika goss sich dennoch eine Tasse ein, nahm diese mit, schlich zurück durchs Wohnzimmer und öffnete eine Balkontür, die raus auf die Veranda führte. Jetzt erst verstand sie den Aufbau des Hauses, denn die Veranda war nach vorne hin gebaut, aber so, dass sie in einem normalen Haus rückwärtig angesetzt worden wäre. Hier aber ging sie nach vorne zur Straße, auf der jedoch kein einziges Auto fuhr.
Nichts und niemand waren zu hören, als sich Annika auf eine Bank setzte, tief durchatmete und die Stille genoss. An der Seite stand eine Truhe, in der sie Aufleger für die Bank und die Stühle fand. Sie kramte zwei für die Bank heraus und legte sie darauf. Erst in diesem Augenblick wurde ihr bewusst, dass die Truhe gar nicht abgeschlossen war, trotzdessen, dass die Veranda nach vorne zur Straße gebaut war. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, dass die Truhe absichtlich nicht abgeschlossen war und vermutete, dass das Verschließen einfach vergessen worden sei. Oder war es hier oben im Norden noch üblich, dass man dem anderen vertraute?
Passen würde es auf jeden Fall zu der Mentalität, die sie bisher kennen gelernt hatten, sagte sich Annika und rekapitulierte die bisherigen Ereignisse des Tages. Es war schon erstaunlich, wie viele Zufälle, aber auch wie viele nette Menschen ihnen an diesem Tag geholfen hatten, dass sie dieses schöne Ferienhaus fürs Wochenende mieten konnten – und dazu noch zu einem unfassbar günstigen Preis. Annika glaubte, dass der Vermieterin nicht einmal der kleinste Gedanke gekommen schien, die beiden fürs Wochenende voll bezahlen zu lassen.
Aber auch ihre eigene Verhaltensweise – und die von Tammy – waren ihr ein bisschen unbekannt. Spontanität war nicht gerade Annikas größte Eigenschaft, doch alles, was sie an diesem Wochenende bisher getan hatten, unterlag keiner richtigen Planung, sondern eher einem Sichtreibenlassen, um dann in der Situation eine Entscheidung zu treffen. Es war beinahe, als ob sie sich in dem Vertrauen, dass nichts schief gehen könnte, darauf verließen, was so ganz und gar nicht Annikas alltägliche Einstellung war.
Wiederum dachte sie spontan an Marco und dessen minutiös durchgeplanten Urlaube in den Bergen – und wehe, ein Aspekt wollte
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