Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
Vom Netzwerk:
ein paar Minuten kam er wieder und dann tat sich nichts bis zwanzig nach vier, als der andere zur Toilette musste. Sekunden später tauchte ein großes, vielleicht neunzehnjähriges Mädchen in der Küchentür auf und flüsterte in unsere Richtung: »Schnell, der andere schläft. Seid aber ja leise.« Wir erschraken, denn im ersten Moment wussten wir nicht, ob sie wirklich uns gemeint hatte. Sie konnte aber nur uns meinen. Wir sprangen auf die Beine und schlüpften an den Speisewagen vorbei zur Tür. Das Mädchen war verschwunden. Wer war sie? Woher wusste sie, dass wir da waren? Die Antwort auf diese Fragen weiß ich bis heute nicht, aber wer auch immer sie war und ganz egal was sie in jener Nacht getan haben mochte, wir schulden ihr viel.

Viertes Kapitel
    Homer war sichtlich beeindruckt, als er hörte, wie bekannt, um nicht zu sagen berüchtigt, wir inzwischen geworden waren. »Zeigen wir ihnen, dass wir immer noch da sind«, sagte er mit seinem langsamen und besonders gefährlichen Lächeln.
    Mir lief ein Schauer über den Rücken. Trotz meines mörderischen Impulses im Krankenhaus konnte ich mich noch immer nicht an den Gedanken gewöhnen, mich in Gefahr zu begeben, meinen Kopf hinzuhalten und den Tod auf eine Weise herauszufordern, wie es Homer offenbar mit Genuss tat. Genoss er es wirklich? Ich musste an seine Worte denken – Mut, hatte er gesagt, sei eine Art zu denken; man müsse mutig denken, also versuchte ich es und es ging, ein bisschen wenigstens. Jedenfalls stieg ich in die Besprechung ein, als bereiteten wir uns auf ein Volleyball-Match oder einen Chemietest vor. Es ging um Ziele, Taktiken, Risiken, Ideen. Wir redeten eineinhalb Tage lang. Das Seltsame war, dass wir kein einziges Mal stritten. Niemand schrie herum, keiner hob auch nur einmal die Stimme. Diesmal unterblieben auch die Witze. Das hatte wohl damit zu tun, wie Lee und ich ihnen Corrie beschrieben und was uns über Kevin erzählt worden war; aber auch damit, dass die Gefangenen auf dem Messegelände offenbar langsam jede Hoffnung verloren; und vor allem mit einem neuen Gefühl in uns: dass wir zu den wenigen gehörten, die frei waren, und dass wir längst mehr hätten unternehmen sollen. Dass wir eine Verantwortung hatten und etwas tun mussten.
    Es war uns ernst, todernst.
    Wir beschlossen Wirrawee nicht zu unserem Hauptangriffsziel zu machen. Sosehr wir Wirrawee liebten, sosehr es das Zentrum unseres Lebens war, würde das Schicksal unseres Landes nicht von dieser kleinen Stadt abhängen. Um den Feind wirklich zu treffen, mussten wir an einer empfindlicheren Stelle zuschlagen, und das wiederum hieß zum Highway an der Cobblers Bay zurückzukehren. Als wir zuletzt da waren, hatte es dort vor Konvois nur so gewimmelt; Cobblers Bay spielte als Landepunkt offenbar eine wichtige Rolle, denn von dort schwärmten die großen Sattelschlepper zu den wichtigen Frontlinien aus. Der Anschlag auf die Brücke musste ihnen das Leben ziemlich schwer gemacht haben, denn die nächste Brücke war weit weg und bedeutete einen erheblichen Umweg. Aber den Krieg würden sie deshalb nicht verlieren.
    Also machten wir uns wieder auf den langen Weg aus der Stadt hinaus und in Richtung der Bucht. Wir gingen um
    2.30 Uhr los, völlig durchfroren und hundemüde, schleppten uns dahin und hielten die Vorsichtsmaßnahmen ein, die wir zu unserem eigenen Schutz gelernt hatten: Wir gingen paarweise, blieben bei jeder Kreuzung stehen, blickten uns um und schwiegen, solange wir in den Straßen der Stadt unterwegs waren. Wir kamen an der Brücke vorbei, die wir seit der Nacht des großen Treibstofffeuerwerks nicht mehr gesehen hatten. Ich ging diesmal mit Fi, weil ich eine Pause von Lee benötigte, und obwohl ich wegen Corrie immer noch sehr deprimiert war, hob sich meine Stimmung ein wenig, als ich den Schaden sah, den wir angerichtet hatten. Von der Brücke war im Grunde nichts mehr übrig. Sie war ein alter Holzbau gewesen, der nach der Explosion so lichterloh gebrannt haben musste, dass nichts und niemand den Brand hätte löschen können. Aus dem Wasser und dem Schlamm ragten gerade noch ein paar verkohlte Säulen, davon abgesehen deutete nichts mehr darauf hin, dass dort einmal eine Brücke gewesen war. Am stadtseitigen Ufer lagen lange Betonplatten aufgereiht. Wirrawee würde also doch noch die seit Jahren geforderte neue Brücke bekommen und sie würde eindeutig solider sein als ihre Vorgängerin.
    Fi und ich blieben eine Weile stehen und grinsten uns gegenseitig an,

Weitere Kostenlose Bücher