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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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während meiner Wache am Nachmittag die Straße von einem Fenster im ersten Stock aus beobachtete, die Arbeitstrupps vom Messegelände in alten Lastwagen und Autobussen vorbeifahren sah und mich fragte, ob meine Eltern dabei waren, war ich innerlich seltsam ruhig und zuversichtlich. Es war diese Gewissheit, dass wir das Richtige taten, indem wir wieder aktiv wurden und uns nicht länger missmutig und frustriert in der Hölle verborgen hielten. Die Aktion ist auch eine Art zu denken. Wir hatten den Kampf aufgenommen: Diese Leute waren ein Krebs, der in unsere Eingeweide gekrochen war und uns alle ansteckte. Anstatt zu denken und zu reden, mussten wir etwas tun und den Mut haben, an der richtigen Stelle ins Fleisch zu schneiden.
    Dennoch kroch der nächste Tag im Schneckentempo dahin. Wann immer ich auf die Uhr sah, dachte ich, ich starrte auf eine mit Lehm gefüllte Sanduhr. Am späten Vormittag befahl ich mir, die nächste halbe Stunde nicht mehr auf die Uhr zu schauen, aber es dauerte keine zehn Minuten, bis ich der Versuchung wieder nachgab.
    Als meine Wache vorbei war, machte ich mich auf die Suche nach Gesellschaft und Ablenkung. Chris saß im Wohnzimmer im ersten Stock und starrte den grauen Bildschirm des Fernsehers an.
    »Ist es gut?«, fragte ich und ließ mich neben ihn auf das Sofa fallen.
    »Mmmm. Nicht schlecht. Aber nichts Besonderes.«
    »Was siehst du dir denn an?«
    »Äh. MTV.«
    »Neue Band?«
    »Ja. Ganz neue Musikrichtung. Leerband. Sehr subtil.«
    »Sieht ganz danach aus. Ist doch komisch, nicht? Ans Fernsehen denke ich überhaupt nicht. Wahrscheinlich weil ich nie sehr viel geschaut habe.«
    »Ich hab mir alles angesehen. Richtiger TV-Junkie. Aber eigentlich fehlt es mir gar nicht so sehr.« Er wandte sich mir lachend zu und war im Begriff, etwas zu sagen. Im selben Moment, noch bevor er sprach, traf mich sein Atem und der süße, widerwärtige Geruch nach Alkohol. Ich erschrak so sehr, dass ich gar nicht mehr hörte, was er sagte – irgendwas über eine Funkverbindung, mit der er in seinem Zimmer den Fernseher hören konnte. Es war noch nicht einmal Mittag und er hatte eine Fahne! Ich bemühte mich mir nichts anmerken zu lassen. Nachdem ich seinen Atem gerochen hatte, bemerkte ich auch die anderen kleinen Anzeichen: Es fiel ihm schwer, lange Worte richtig auszusprechen, sein Blick schien unscharf und sein Lächeln war verzerrt, als könnte er es mit seinem Mund nicht ganz in Einklang bringen. Ich stotterte etwas, dass ich zur Toilette müsste, und verließ mit glühendem Kopf das Zimmer. Das war doch nicht zu fassen! In vierzehn Stunden sollten wir einen ganzen Konvoi angreifen und müssten uns dabei auf die Hilfe eines Betrunkenen verlassen.
    Weil mir nichts Besseres einfiel, ging ich ins Bad, machte die Tür hinter mir zu und setzte mich auf den Klodeckel. Ich beugte mich vor und verschränkte die Arme über meinem Bauch. Ich bekam auf einmal um uns alle Angst. Wirkliche Angst. Corrie im Krankenhaus, Kevin gefangen und jetzt auch noch Chris, der heimlich trank. Wir steckten bis zum Hals in Schwierigkeiten. Einer oder zwei oder sechs konnten heute Abend umkommen. Wer würde morgen noch da sein? Fünf Tote und ein verkaterter Chris? Angeblich passt Gott auf Babys und Betrunkene besonders gut auf. Ich wünschte mir, wieder ein Baby zu sein. Ich legte meine Arme noch schützender um meinen Bauch, weil es dort am meisten wehtat. Ich fragte mich, was wohl wäre, wenn ich eine Blinddarmentzündung bekäme. Würde mich Homer mit einem Schweizermesser aufschneiden? Ich vergrub meine Zähne in den Handballen meiner linken Hand und mit der rechten hielt ich weiterhin meinen Bauch umklammert. So blieb ich lange sitzen. Zuvor war mir die Zeit wie eine Ewigkeit vorgekommen; jetzt hatte ich sie völlig vergessen. Irgendwann war mir so kalt, dass ich meinte an Ort und Stelle festgefroren zu sein; dass ich mich nicht mehr rühren könnte und meine Knochen bei dem Versuch, mich aufzurichten oder aufzustehen, Sprünge bekommen und zerbrechen würden.
    Nachdem ich lange so dagesessen hatte, klopfte jemand an die Tür. Es war Robyn: »Ellie, bist du da drinnen? Alles in Ordnung?« Ich gab keine Antwort, sie öffnete dennoch die Tür und trat ein.
    »Ellie! Was ist denn?«
    »Ich glaube, ich habe eine Blinddarmentzündung«, murmelte ich.
    Sie lachte, aber nur ganz kurz, wofür ich dankbar war. »Ellie, du hast bloß einen Riesenbammel. Ich kenne das gut. Und wie! Man fängt an, sich die unglaublichsten

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