Ein endloser Albtraum (German Edition)
obwohl man kaum einen Farmer finden würde, der so über sie spricht. Also sagte ich: »Was die Schafe betrifft, haben Sie Unrecht. Sie gehorchen überhaupt nicht gerne. Und sie sind lange nicht so dumm, wie die meisten glauben. Sie haben einen sehr ausgeprägten Überlebensinstinkt ...«
»Ellie, bitte ...«, kam Lees müde Stimme.
Ich kann nichts dafür, dass ich Schafe mag.
Nell erzählte nun die zweite Geschichte, die uns so schockierte. Sie sagte, dass eine Menge Leute – unsere Leute – meinten, sie wären froh, wenn endlich das eintrete, was die Soldaten »Kolonisierung« nannten. Damit war der Zeitpunkt gemeint, wenn die Besatzer sicher sein konnten, dass sie das Land unter Kontrolle hatten und Millionen ihrer eigenen Leute ansiedeln würden. Jede Familie würde ein paar Hektar Land bekommen und es bebauen und wir würden als Zwangsarbeiter für die miesen Jobs eingesetzt: für die Handschur, das Auslesen der minderwertigen Wolle, auf den Kartoffelfeldern und für die Hausarbeit.
»Wie können sie darüber froh sein?«, flüsterte ich. Ich spürte, wie mir die Angst in alle Glieder kroch. Die Lage schien zu schlimm zu werden, zu unerträglich und die meisten verloren offenbar jede Hoffnung.
»Na ja«, sagte Nell. Ihr Bericht hatte sie hörbar ermüdet, denn sie war nicht mehr so konzentriert wie zu Beginn. »Sie sind einfach ... wenn ihr auf dem Messegelände wärt, würdet ihr es verstehen. Es ist furchtbar, viel zu viele an einem Ort. Jeder von uns will nur noch raus. Frische Luft schnappen, herumgehen können. Deshalb melden sich die Leute jetzt auch freiwillig für die Arbeitstrupps. Es scheint, als wäre jede Veränderung eine willkommene Veränderung.«
Noch während sie sprach, hatten die Soldaten mit ihrem Rundgang begonnen. Sie waren nicht zu überhören – jedenfalls bemühten sie sich nicht, besonders leise zu sein. Sie öffneten die Tür zu dem Zimmer, drehten das Licht an und gleich wieder ab. Es war so lange her, seit ich in einem Raum mit elektrischem Licht gewesen war, dass ich meinte einen Schlag abbekommen zu haben, so stark war es. Lee und ich drückten uns flach auf den Boden und atmeten den Staub und den Holzgeruch ein.
»Normalerweise drehen sie kein Licht an«, flüsterte Nell gleich darauf. »Euer Feueralarm dürfte ihnen einen ganz schönen Schrecken eingejagt haben.«
Dennoch war ich überzeugt, dass sie die Ursache für den Rauch nicht entdeckt hatten, sonst hätten sie viel genauer gesucht. Homer hatte einen Leinensack dabei, den er über die Rauchbombe werfen wollte, sobald sie den Raum über ihm betraten. Das Einzige, was sie vorfinden würden, wäre ein Zimmer voller Rauch ohne sichtbare Ursache. Er hatte sich die Röntgenabteilung ausgesucht, weil sie voller komplizierter elektrischer Geräte war und sie vor ein Rätsel stellen würde, was den Alarm ausgelöst haben könnte.
Wir hörten die Schritte der Soldaten, die zu ihrem Wachposten am Ende des Flurs zurückkehrten. Endlich war der Moment gekommen, um den ich gebetet hatte. Ich hatte ihn doch so herbeigesehnt – warum packte mich gerade jetzt eine solche Angst? Wahrscheinlich weil ich nicht wusste, was mich in B10 erwartete. Meine beste und älteste Freundin Corrie ... oder ein nicht wiederzuerkennendes Wesen?
»Jetzt sollte es sicher sein«, flüsterte Nell. »Seid bloß vorsichtig.«
Diesen guten Rat brauchte ich wirklich nicht. Ich beabsichtigte nicht, den Flur entlangzugehen und Lockrufe auszustoßen oder eine Verfolgungsjagd mit den Rollstühlen zu veranstalten.
Wir krochen unter dem Bett hervor wie zwei Schlangen aus dem Gebüsch.
»Viel Glück«, sagte Nell.
»Wir schauen noch einmal rein, bevor wir gehen.«
»In Ordnung, Liebes.«
Ich öffnete vorsichtig die Tür und warf einen Blick hinaus. Der Flur war dunkel und es war niemand zu sehen. Nach dem warmen Menschengeruch in B8 war es kalt. Ich bewegte mich so leise wie möglich an der Wand entlang und spürte Lee hinter mir. Doch als wir vor Corries Tür standen, hatte ich nicht den Mut, sie zu öffnen. Seit der Invasion hatte es viele Momente gegeben, in denen ich meinen Mut erst finden musste. Erstaunlicherweise war er immer da gewesen, auch wenn ich manchmal tief nach unten greifen musste, auch wenn ich manchmal meinte, da wäre nichts mehr, an dem ich mich festhalten konnte.
Jetzt lehnte ich völlig entkräftet an der Tür und drückte mit dem Kopf dagegen. Das war unklug – vielleicht nicht ganz so unklug wie Lockrufe ausstoßen, aber hart
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