Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
Vom Netzwerk:
erreicht hatte, machte ich eine kurze Pause und hielt mich zitternd fest.
    »Wirf das Gewehr hoch«, rief Homer. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich noch immer das Maschinengewehr auf dem Rücken trug. Deshalb tat er mir weh. Ein Glück, dass die Waffe nicht losgegangen war. Ich nahm sie ungeschickt ab und hielt sie einen Moment lang in beiden Händen, bevor ich sie mit aller Kraft in die Luft schleuderte. Sie flog gerade hoch genug. Robyn erwischte den Griff, als sie bereits wieder zu fallen drohte, und zog sie hinauf. Eine Minute später tauchte sie wieder auf, diesmal zu meiner Linken.
    »Komm hierher, Ellie«, rief sie.
    An dieser Stelle ragte ein einfach zu erreichender Rand hervor, der aber nirgends hinführte, weshalb ihn auch keiner von uns benutzt hatte. Aber ich begriff, was sie vorhatten. Sie hatten eine menschliche Kette gebildet. Lee hielt Robyn, die über der Klippe baumelte und das Gewehr hielt. Ich konnte nicht sehen, wer Lee festhielt. Langsam, einen Schritt vor den anderen setzend kam ich zu der Stelle und streckte die Hand aus. Den Gewehrlauf bekam ich gerade noch zu fassen.
    »Oh, Ellie, deine armen Hände!«, rief Robyn aus.
    »Ihr habt das Ding hoffentlich entladen«, erwiderte ich.
    »Ja, haben wir. Kannst du dich festhalten?«
    »Ja.«
    »Sicher?«
    »Mach endlich.«
    Sie rutschte langsam rückwärts und zog mich mit. Einen Moment lang hing ich mit meinem ganzen Gewicht in der Luft, doch dann fanden meine Füße einen Halt und ich konnte das letzte Stück der Wand hinaufgehen.
    Homer und Fi packten mich unter den Achseln und hoben mich über den Rand. Ich landete auf Robyn, kroch zur Seite und sackte zusammen.
    Fi nahm meine rechte Hand und kümmerte sich um sie. Ich hob neugierig den Kopf. Die Innenseite war zerschunden und blutig; mit Ausnahme des Daumens hatte ich keine Fingerkuppen mehr, da war nur noch rohes Fleisch. Die linke Hand sah nicht viel besser aus. Je länger ich sie ansah, umso heftiger wurde das Brennen.
    Keiner konnte die Tränen länger zurückhalten, sie brachen aus uns hervor wie ein Sturzbach. »Nichts tut so gut, wie mal richtig zu weinen«, hatte meine Großmutter immer gesagt. Uns war kalt, wir waren hungrig, zerschlagen, voller blauer Flecken und Wunden, doch das Schlimmste waren der Schock und diese abgrundtiefe Verzweiflung. Es konnte nicht später als halb acht in der Früh sein, die Sonne war noch zu schwach, um die Dunkelheit der vergangenen Nacht, die uns in alle Poren gekrochen war, zu erhellen oder zu wärmen. Wir hockten unter den Bäumen verborgen – die instinktive Schutzsuche hatte uns trotz allem nicht verlassen – und heulten wie kleine Kinder. Mir rannen die Augen und die Nase, und als ich mir die Tränen wegwischen wollte, wurde der Schmerz in meinen Händen so unerträglich, dass ich es wieder bleibenließ. Fi hatte ihren Kopf in meinen Schoß gelegt und weinte, bis der Stoff meiner Jeans durchnässt war.
    Schließlich beruhigte ich mich ein wenig. Ich hob den Kopf und warf einen Blick in die Runde. Wir waren ein elender Anblick. Robyns Gesicht war blutverschmiert, Lee hatte ein geschwollenes Auge, das sich langsam verfärbte. Wir stanken, als hätten wir uns seit Monaten nicht mehr gewaschen. Unsere Kleider waren zerrissen und verdreckt. Da wir seit der Invasion alle abgenommen hatten, waren uns unsere Sachen zu weit geworden und hingen uns wie Fetzen vom Leib. Ich sah Lee an. Er stand mit dem Busch im Rücken da und erwiderte ruhig meinen Blick. Da er wie viele große Menschen den Kopf immer ein wenig vorneigte, konnte ich seinen Nacken sehen und den Bogen, den er machte. Er trug ein graues T-Shirt mit dem Aufdruck Born to Rule und einem Blitz quer darüber. Ich wusste, was auf dem Rücken stand: Impunity, der Name seiner Lieblingsband. Seine Jeans hatten Löcher an den Knien und der Schnürsenkel einer seiner Schuhe war schon so oft gerissen und wieder geknüpft worden, dass die Masche kaum noch erkennbar war. Das T-Shirt trug er wie immer außen, nicht in die Hose gestopft. Der rechte Ärmel hing in Fetzen herunter, über der Brust war noch ein Riss und unter dem Wort Rule war ein Brandloch. Der untere Rand sah aus, als bestünde er nur noch aus Fransen.
    Trotz allem war er so anmutig, so würdevoll, dass ich mich in dem Moment so vollkommen in ihn verliebte, wie ich mich nie zuvor verliebt hatte. Ich grinste ihn verlegen an und half Fi hoch.
    »Also, Leute«, sagte ich. »Verschwinden wir.«
    »Wusstest du, dass das beim Film die häufigste

Weitere Kostenlose Bücher