Ein endloser Albtraum (German Edition)
nicht. Für sie waren wir bloß unreife Kids. Sie trauten uns überhaupt nichts zu. Mich hat das wütend gemacht. Immerhin haben wir viel mehr erreicht als sie, und sie behandelten uns, als könnten wir nicht mal Geschirr abtrocknen. Ms Hauff hat mir nicht einmal erlaubt Wasser in einer Pfanne heiß zu machen, um sie sauber zu machen. Sie meinte, ich könnte mich verbrennen! Und dieser Major Harvey saß die ganze Zeit auf seinem Hintern und beklagte sich, dass sie nur so wenige Männer wären und kaum bewaffnet! Wir sind zu sechst und praktisch unbewaffnet und wir haben mit unseren Aktionen wirklich was erreicht.«
»Stimmt schon. Aber Erwachsene, die sind doch immer so.«
»Möchtest du erwachsen werden?«
»Selbstverständlich. Wieso fragst du?«
»Na ja, manchmal denke ich, die Erwachsenen sehen die meiste Zeit so deprimiert und unglücklich aus, als wäre das ganze Leben viel zu kompliziert und bloß eine Last. Außerdem verdanken wir ihnen diesen Albtraum. Ich weiß schon, dass wir es auch nicht immer leicht haben. Wir haben auch Probleme, aber so schlimm wie die der Erwachsenen sind sie nicht.«
»Dann müssen wir es eben besser machen als sie.«
»Mmmm. Wahrscheinlich haben sie das auch gesagt, als sie in unserem Alter waren.«
»Ja, aber irgendwann vergessen sie, was sie sich vorgenommen haben.«
»Wir hätten uns auch mehr für diese Dinge interessieren können. Weißt du noch, wie Kevin gefragt hat, welche Abkommen wir mit anderen Ländern haben? Keiner von uns hatte auch nur den Schimmer einer Ahnung. Es war ein Fehler, alles den Politikern zu überlassen.«
»Politiker!« Fi wurde plötzlich böse. »Die sind doch das Letzte. Richtige Scheißkerle.«
»Fi«, kicherte ich, »so kenne ich dich ja gar nicht.«
»Diese Ansprachen im Radio. Kotzen möchte man.« Ich verstand sie gut. Die Ansprachen unserer Politiker aus Washington waren verlogen, lauter Ausreden und leere Versprechungen; sobald sie zu reden anfingen, packte uns eine solche Wut, dass wir das Radio abdrehten.
»Ich dachte, du wolltest vier Stunden Ruhe«, brummte Lee vom Zelt neben uns.
»Tut mir leid«, sagte ich schuldbewusst.
Fi gähnte und brachte sich in eine bequemere Position. »Ich schlafe jetzt«, sagte sie.
»In Ordnung. Gute Nacht. Besser gesagt guten Morgen.«
Danach schien sie ziemlich rasch einzuschlafen. Ich nicht. Ich lag den ganzen Morgen wach, fiel ab und zu in eine Art Halbschlaf, wachte aber jedes Mal gleich wieder auf. Der Schlaf war lange Zeit mein letzter Ausweg gewesen, aber auch hier schien sich eine Tür zu schließen. Seit dem Hinterhalt in der Buttercup Lane schlief ich nicht mehr richtig. Wer weiß, vielleicht würde das für den Rest meines Lebens so bleiben. Wer weiß, wie viel Rest meines Lebens ich noch hatte.
Zwölftes Kapitel
Die nächsten zwei Wochen vergingen langsam; in Wirklichkeit krochen sie im Schneckentempo dahin und verloren sich im Nichts. Wir hatten nicht den geringsten Hinweis, wo Chris war, wo er hingegangen sein mochte. Auf der Suche nach ihm verließen die anderen dreimal die Hölle; das erste Mal gingen sie nur bis zu meinem Haus; das zweite Mal bis zu Kevins und Homers Häusern; und das dritte Mal fuhren sie in der Nacht auf den Rädern sogar bis zum Haus von Chris. Sie gingen das kalkulierte Risiko ein, ihm eine Nachricht zu hinterlassen, auf der stand, dass sie da gewesen wären; wenn er wo war, dann doch am ehesten dort.
»Wenn er wo war.« Natürlich war er wo. Alle sind doch irgendwo, oder?
Ich beschloss schließlich doch, seine Notizhefte zu lesen, und blätterte mit meinen verbundenen Fingern ungeschickt die Seiten um. Mir war nicht wohl bei dem Gedanken, aber ich hatte die anderen gefragt, was sie davon hielten, und sie fanden es in Ordnung, denn vielleicht bekamen wir auf diese Weise einen Hinweis, wo er sein könnte. Dass er seine Notizhefte nicht mitgenommen hatte, war in meinen Augen bedenklich genug. Sie bedeuteten ihm doch so viel. Aber vielleicht hatte er ja ein anderes dabei; vielleicht hatte er mehr als diese vier.
Seine Notizhefte waren ganz anders als meine. Viel kreativer gestaltet; sie waren mit allen möglichen Dingen voll geschrieben, enthielten Stichworte und Einfälle und Gedichte und Geschichten und Gedanken über das Leben. Zum Beispiel stand da: »Wir töten die Raupen und dann beklagen wir uns, dass es keine Schmetterlinge gibt.«
Manches kannte ich schon, doch das, was er zuletzt geschrieben hatte, sah ich zum ersten Mal. Immer wieder machte
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