Ein endloser Albtraum (German Edition)
er Anspielungen auf die Hölle, wobei nicht immer klar war, ob damit unsere Hölle gemeint war, die, in der wir lebten, oder die andere, in der wir manchmal auch lebten. Einige Stellen waren ziemlich deprimierend, aber das überraschte mich nicht: Chris hatte schon immer einen Hang zur Schwermut gehabt.
Ein Pferd, schwarz und böse
Stiehlt sich in meinen Kopf hinein
Es geistert durch die Landschaft
Meines Denkens und durch meinen Schlaf
Es tut, was ihm gefällt
Erst am nächsten Morgen
Spüre ich sein Wüten.
Ich sehe sie gehen
In der Stille des Nebels
In mir eine Kälte wie von frischem Schnee
Eine Ahnung überkommt mich
Ich kehre heim
Traurig und ohne Eile.
Aber nicht alle waren deprimierend.
Das Fohlen drängt ins Leben
Mit zitternden nassen Gliedern
Und erschrockenem Blick im Stroh
Der Geruch ist reich und feucht von der Geburt
Dann kam die Dämmerung; sie war
Das Licht des Lebens.
Daran konnte ich mich erinnern; es war eines der Gedichte, die er mir gezeigt hatte, als er die erste Woche bei uns war. Ich mochte es sehr. Er schrieb oft über Pferde; wahrscheinlich weil die Langs auf ihrer Farm eine ganze Menge davon hatten.
Stuten und Fohlen
Traben stolpernd
Durch den Morgendunst
Laufen der Dunkelheit davon
Lassen die Schatten zurück.
Ich lebe im Licht
Doch die Dunkelheit verlässt mich nicht.
Das schien eines von den jüngeren zu sein. Ich kannte es nicht.
Sie werden mich hinaustragen
Durch eine Nebelwand auf das Feld
Und das Lamm wird kurz den Kopf heben
Mir nachstarren, in Gedanken verloren
Die Soldaten werden kommen
Und mich in die dunkle kalte Erde legen
Und die Klumpen werden auf mein Gesicht fallen.
›Je tiefer man empfindet, desto schwerer ist das Leben‹, war alles, was mir durch den Kopf ging, als ich die Hefte beiseitelegte. ›Gefühle, wer braucht sie schon? Manchmal sind sie ein Geschenk; wenn man liebt und glücklich ist. Manchmal sind sie ein Fluch.‹
Für Chris schienen sie mehr Fluch als Segen zu sein.
Wie es wohl Corrie ging und Kevin? Armer Kevin. Ich stellte mir vor, dass er als Gefangener auf dem Messegelände durch den Zaun starrte und sich ausmalte, wie wir in der Hölle immer noch unsere Freiheit genossen. Wahrscheinlich beneidete er uns, sehnte sich danach, hier zu sein. Aber wer sagte denn, dass es uns so gut ging? Man hatte mir beigebracht, dass Freiheit alles ist. Das stimmt aber nicht. Besser in Ketten und mit den Menschen, die man liebt, als frei und allein.
Ich überlegte mir, ob wir eine Ehrenliste mit den Menschen anlegen sollten, die wir verloren hatten – Corrie und Kev und jetzt womöglich Chris. Wer weiß, welche Namen mit der Zeit noch hinzukommen würden. Es muss wohl an diesen Gedanken gelegen haben, dass ich kurz darauf völlig ausrastete, als ich auf Homer stieß, der mit einer ganz anderen Liste beschäftigt war. Er stand vor einem großen alten Eukalyptusbaum und schnitzte langsam und sorgfältig senkrechte Linien in den Stamm.
»Was machst du da?«, fragte ich.
»Ich schreibe den Spielstand auf.«
»Was? Welchen Spielstand?«
»Die Verluste, die auf unser Konto gehen.«
Ich traute meinen Ohren nicht. »Meinst du etwa die Leute, die wir getötet haben?«
»Ja«, erwiderte er mit nervösem Blick in meine Richtung, denn der wütende Ton meiner Stimme hatte ihn aufgeschreckt.
»Das kann doch nicht dein Ernst sein! Hast du jetzt vollends den Verstand verloren? Du absolut verblödeter Vollidiot, meinst du denn, das hier ist ein Fußballspiel, oder was?«
»Beruhig dich, Ellie, ist doch nicht so schlimm.«
»Homer, du hast für Sport nichts übrig, hast du nie gehabt, und jetzt auf einmal machst du aus dem Schlimmsten, was uns passieren konnte, ein saublödes Match!«
»Ist ja gut, reg dich ab. Ich hör schon auf damit, kein Grund, so auszuflippen.« Ihm wurde bewusst, dass sein Einfall alles andere als ein Geistesblitz gewesen war, und er sah mich schuldbewusst an. Ich war so aufgebracht, dass ich beschloss besser nichts mehr zu sagen. Mit meinem kaputten Knie humpelte ich wutentbrannt zum Pfad. Ist doch wahr: Homer konnte so klug sein und so stark – und dann fiel ihm so etwas ein. Das zog sich durch sein Leben wie ein roter Faden, denn auch wenn er sich seit der Invasion großartig verhalten hatte, war er immer noch im Stande, vollkommen den Verstand zu verlieren – wie jetzt gerade. Mir gingen die vielen Toten, die Zerstörung, die Dinge, die uns zugestoßen waren, so nahe, dass ich mir nicht vorstellen konnte, jemand anders würde nicht so
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