Ein endloser Albtraum (German Edition)
empfinden.
Ich weiß es nicht.
Als am Beginn des Pfades plötzlich jemand neben mir stand und mich aufhielt, war ich zu aufgebracht, um ihn gleich zu erkennen. Er packte mich am Arm und sagte: »Ellie, beruhig dich, beruhig dich doch.« Es war Lee. »Was ist denn los?«
»Es ist wegen Homer. Dieser Idiot. Er kann so kindisch sein, das macht mich rasend.«
Er hielt immer noch meinen Arm fest; ich drehte mich um, bis er mich ganz in den Arm nehmen konnte, und begann zu weinen. Dann stellte ich ihm dieselbe Frage, die Fi mir gestellt hatte: »Lee, was wird nur aus uns werden?«
»Ich weiß es nicht.«
»Sag das nicht. Das sagen alle. Ich will, dass du anders bist als alle.«
»Bin ich wohl auch. Ich bin ein Mörder.« Bei diesen Worten lief ein Zittern durch ihn hindurch.
»Nein, das bist du nicht.«
»Wenn ich dir nur glauben könnte. Aber Worte ändern gar nichts.«
»Denkst du, dass es falsch war?«
Er schwieg so lange, dass ich dachte, meine Stimme wäre in der Umarmung untergegangen und er hätte mich nicht gehört. Ich wollte meine Frage gerade wiederholen, als er mich unterbrach.
»Nein. Aber ich habe Angst vor dieser Seite in mir, die mich so etwas tun lässt.«
»In jener Nacht ist so viel geschehen. Das heißt nicht, dass es je wieder geschehen muss. Nach allem, was du gesehen hast, wäre wohl jeder durchgedreht.«
»Aber wenn du so etwas einmal getan hast, hast du vielleicht beim nächsten Mal umso weniger Hemmungen.«
»Ich habe es auch getan.«
»Ja. Ich weiß nicht, warum, aber als du es getan hast, schien es etwas anderes zu sein. Chris hat mir erzählt, wie übel zugerichtet der Soldat war. Und dann ist es was anderes, ob man ein Messer nimmt oder ein Gewehr.« Ich erwiderte nichts und nach einer Weile fuhr er fort. »Denkst du viel darüber nach?«
Jetzt weinte ich wirklich. Ich schluchzte so sehr, dass ich dachte, meine Lungen würden platzen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören. Das Erstaunliche war, dass Lee mich die ganze Zeit festhielt, als könnte er bis in alle Ewigkeit warten. Schließlich sprach ich zum ersten Mal über meinen Tag-Albtraum: »Ich hatte das Gefühl, dass da dieser Riesenschatten am Himmel war. Dass er über mir war und alles verdunkelte und mir überallhin folgte.«
Als ich mich ein wenig beruhigt hatte, gingen wir nebeneinander den Pfad entlang, und obwohl er dafür eigentlich viel zu schmal war, drängte ich mich an Lee und hielt mich an ihm fest. Eine Zeit lang saßen wir auf einem Felsen. Auf meinem Arm krabbelte eine winzige Spinne. Ich entdeckte den hauchdünnen Faden, der sie mit mir verband, und ließ sie daran zu Boden sinken.
»Bungeejumping für Spinnen«, meinte Lee, der mir zusah. Ich lächelte.
»Findest du, es war falsch, was ich getan habe?«, fragte er nun, während er immer noch die Spinne beobachtete.
»Ehrlich, ich weiß es nicht. Frag Robyn. Oder Homer. Frag irgendwen, nur nicht mich.«
»Du scheinst aber immer zu wissen, was richtig und was falsch ist.«
»Was?« Ich schob ihn von mir weg und starrte ihn ungläubig an. »Was hast du gesagt?«
»Das stimmt doch, oder?«
»Lee, ich weiß ungefähr so viel darüber, was richtig und was falsch ist, wie diese Spinne.«
»Oh. Bist du sicher? Du machst immer einen so selbstsicheren Eindruck.«
»Das darf doch wohl nicht wahr sein. Fi sagte vorhin, dass ich nie ängstlich aussehe. Ich dachte immer, wenigstens ihr kennt mich ein wenig. Scheint so, als müssten wir noch mal von vorne anfangen. Das Einzige, was ich mit absoluter Sicherheit weiß, ist, dass ich nichts mit Sicherheit weiß. Bei allem, was wir tun, zermartere ich mir das Hirn. Weißt du noch, als ich bei dir schlief und du nichts gemerkt hast?«
Er lachte. Eines Nachts war ich spät in das Lager zurückgekehrt und außer uns beiden war niemand da gewesen. Lee schlief bereits und ich war in sein Zelt gekrochen und hatte mich zu ihm gelegt.
»Damals, es war mitten in der Nacht und ich war auf dem Weg zurück in die Hölle, hielt ich eine Weile am Tailors Stitch. Ich schaute zum Himmel hinauf und versuchte mir über ein paar Dinge klar zu werden.«
»Ich erinnere mich daran. Du hast es mir erzählt.«
»Am Ende wurde mir nur eines klar, aber das war ziemlich wichtig. Für mich wenigstens. Ich begriff, dass meine einzige Stärke mein mangelndes Selbstvertrauen ist, dass das eigentlich ein Geschenk ist.«
»Wie meinst du das?«
»Ich meine, je mehr Sicherheit jemand hat, was die Dinge anbelangt, an die er glaubt, umso eher
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