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Ein endloser Albtraum (German Edition)

Ein endloser Albtraum (German Edition)

Titel: Ein endloser Albtraum (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Marsden
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stolpern, nicht auf knackende Zweige zu treten oder gegen eine Mülltonne zu rennen.
    Wir gelangten in die Racecourse Road und fühlten uns ein wenig sicherer, weil es dort so wenige Häuser gibt. Bei Mrs Alexanders Garten blieb ich einen Augenblick stehen und schnupperte an den hohen, alten Rosen, die an ihrem Zaun wachsen. Ich liebte ihren Garten. Sie gab dort alljährlich eine Weihnachtsparty. Es war erst wenige Wochen her, dass ich unter einem ihrer Apfelbäume gestanden hatte, einen Teller mit Keksen in der Hand, und Steve gesagt hatte, dass ich nicht mehr mit ihm gehen wolle. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass es fünf Jahre her war. Das Gespräch war mir sehr schwergefallen, und dass Steve so nett reagiert hatte, machte es noch schwerer. Vielleicht war er deshalb so nett gewesen? Oder war ich einfach zynisch?
    Wo waren Steve, Mrs Alexander, die Mathers, Mum und Dad und überhaupt alle jetzt? Konnte man uns wirklich angegriffen und besetzt haben? Ich konnte mir nicht vorstellen, was sie empfunden, wie sie reagiert hatten. Sie waren sicherlich entsetzt gewesen, wie betäubt. Einige von ihnen hatten bestimmt versucht zu kämpfen. Manche unserer Freunde gehörten kaum zu den Leuten, die sich hinlegen und damit abfinden, dass ein Haufen Soldaten einmarschiert, um ihnen ihren Besitz und ihre Häuser wegzunehmen.
    Mr George zum Beispiel. Vergangenes Jahr kam ein Bauinspektor zu ihm und erklärte ihm, dass er seinen Scherschuppen nicht vergrößern dürfe. Mr George wurde vorgeladen, weil er den Inspektor mit einem Montierhebel bedroht hatte. Dad war übrigens auch ganz schön eigensinnig. Ich hoffte nur, dass es nicht zu Gewalttätigkeiten gekommen war. Ich hoffte, dass sie vernünftig gewesen waren.
    Ich stolperte dahin und dachte an Mum und Dad. Die Außenwelt hatte unser Leben kaum beeinflusst. Natürlich hatten wir die Nachrichten im Fernsehen gesehen und hatten uns schlecht gefühlt, wenn man uns Bilder von Kriegen, Hungersnöten und Überschwemmungen zeigte. Gelegentlich versuchte ich mich in die Lage dieser Leute zu versetzen, aber ich konnte es nicht. Der Vorstellungskraft sind Grenzen gesetzt. Die einzige Auswirkung der Außenwelt auf uns waren die Woll- und Viehpreise. Zwei Tausende Kilometer entfernte Länder unterzeichneten auf einem anderen Erdteil einen landwirtschaftlichen Vertrag und ein Jahr danach mussten wir einen Arbeiter entlassen.
    Aber trotz unserer Isolation, unseres unromantischen Daseins, liebte ich es, auf dem Land zu leben. Andere Kids konnten es nicht erwarten, in die Stadt zu ziehen. Es schien beinahe, als stünden sie in dem Augenblick, in dem sie die Schule beendet hatten, mit ihrem Gepäck an der Bushaltestelle. Sie wollten Menschenmengen, Lärm, Fast-Food-Läden und riesige Einkaufszentren. Sie wollten Adrenalin in ihren Adern spüren. Ich mochte all das in kleinen Mengen und wusste, dass ich in meinem Leben gern eine längere Zeit in der Stadt verbringen würde. Ich wusste aber auch, wo ich am liebsten war, und das war hier draußen, selbst wenn ich die Hälfte meines Lebens meinen Kopf in den Motor eines Traktors stecken oder ein Lamm aus einem Stacheldrahtzaun holen oder von einer Kuh grün und blau getreten würde, weil ich zwischen sie und ihr Kalb geraten war.
    Im Augenblick war ich noch damit beschäftigt, mit dem fertig zu werden, was geschehen war. Das war kein Wunder. Wir wussten so wenig. Wir hatten nur Hinweise, Mutmaßungen, Annahmen. Ich erlaubte mir zum Beispiel die Vorstellung nicht, dass Mum oder Dad – oder irgendjemand anderer – verwundet oder getötet worden war. Mein Verstand wusste zwar, dass solche Dinge die logischen Folgen von Invasionen, Kämpfen und Kriegen sind, aber mein Verstand steckte in einer kleinen Schachtel. Meine Vorstellungskraft war in einer ganz anderen Schachtel und ich ließ die beiden nicht miteinander kommunizieren. Wahrscheinlich kann sich niemand vorstellen, dass seine Eltern einmal sterben werden. Es ist so, als denke man an seinen eigenen Tod.
    Meine Gefühle waren wieder in einer ganz anderen Schachtel. Während dieses Marsches versuchte ich verzweifelt, sie dort unter Verschluss zu halten.
    Was ich mir vorstellen konnte, war, dass meine Eltern irgendwo gegen ihren Willen festgehalten wurden. Ich sah sie vor mir – Dad, der entmutigt und zornig war wie ein Bulle in einem Verschlag, der sich weigerte das Geschehene zu akzeptieren, der sich weigerte die Autorität eines anderen anzuerkennen. Er würde gar nicht versuchen zu verstehen,

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