Ein endloser Albtraum (German Edition)
–, bis endlich etwas geschah. Gerade als Kevin sich herüberneigte, mir »Wir müssen gehen« zuflüsterte und ich nickte, trat ein Mann aus einem der Zelte. Er hatte die Hände an den Kopf gelegt und blieb stehen. Die Posten erwachten sofort zum Leben, einer ging schnell zu dem Mann hin, der andere richtete sich auf und wandte sich ihm zu. Der Posten und der Mann sprachen kurz miteinander, dann ging der Mann – noch immer mit erhobenen Händen – zum Toilettenblock und verschwand in ihm. In der letzten Sekunde, als ihm die Lampe oberhalb der Waschraumtür ins Gesicht schien, erkannte ich ihn: Es war Mr Coles, mein Grundschullehrer im vierten Schuljahr.
Jetzt wussten wir es. Mir wurde kalt; ich bekam eine Gänsehaut. Das war die neue Realität in unserem Leben. Ich begann ein wenig zu zittern, aber dafür hatten wir keine Zeit. Wir mussten verschwinden. Wir glitten durch das Gras zurück und bewegten uns wieder von Baum zu Baum. Ich erinnerte mich daran, dass es vor zwei Jahren zu einer großen Auseinandersetzung gekommen war, weil der Stadtrat vorgeschlagen hatte, diese Bäume zu fällen, um einen größeren Parkplatz zu schaffen. Die Empörung war so groß gewesen, dass die Idee aufgegeben werden musste. Ich grinste in der Dunkelheit, aber ohne Fröhlichkeit. Zum Glück hatten die Guten gewonnen. Aber niemand hätte sich jemals vorstellen können, wie nützlich die Bäume für uns werden würden.
Ich erreichte den letzten Baum und streichelte zärtlich seinen Stamm. Ich empfand sehr viel Zuneigung für ihn. Corrie war dicht hinter mir, dann drängte sich Kevin dazu. »Beinahe in Sicherheit«, sagte ich und brach wieder auf. Ich hätte auf Holz klopfen sollen, bevor ich es tat. In dem Augenblick, in dem ich meine Nase zeigte, knatterten hinter mir Gewehrschüsse. Kugeln zischten an uns vorbei und hackten große Stücke Holz aus einem Baum zu meiner Linken. Corrie keuchte und Kevin schrie auf. Es war, als hätte ich vor Angst den Boden unter den Füßen verloren. Einen Augenblick lang hatte ich keinen Kontakt mit der Erde mehr. Es war ein seltsames Gefühl, als hätte ich aufgehört zu existieren. Dann stürzte ich zur Straßenecke, rollte durch das Gras und wand mich wie ein Ohrwurm in Sicherheit. Ich drehte mich sofort um und wollte Kevin und Corrie rufen, aber in diesem Augenblick landeten sie schon auf mir und nahmen mir den Atem.
»Gib Gas«, sagte Kevin und zog mich hoch. »Sie kommen.«
Obwohl ich keine Luft in der Lunge hatte, begann ich irgendwie zu rennen. Hundert Meter lang waren die einzigen Geräusche, die ich hörte, das Rasseln meiner Lunge und der dumpfe Aufschlag meiner Füße auf dem Fahrdamm. Obwohl wir vorher sehr logisch beschlossen hatten uns zu trennen, wenn man uns jagte, wusste ich jetzt, dass ich es nicht tun würde. In diesem Augenblick hätte mich nur eine Kugel von diesen zwei Menschen trennen können. Plötzlich waren sie zu meiner Familie geworden.
Kevin schaute die ganze Zeit zurück. »Runter von der Straße«, keuchte er, gerade als ich wieder etwas Luft bekam. Wir bogen in irgendeine Auffahrt ein. Gleichzeitig hörte ich jemanden schreien. Ein Feuerstoß ließ wie ein plötzlicher kurzer Sturm mit ungeheurer Gewalt Kugeln durch die Zweige schlagen. Mir wurde klar, dass wir Mrs Alexanders Auffahrt entlangrannten. »Ich kenne diesen Platz«, sagte ich zu den anderen. »Folgt mir.« Ich hatte zwar keinen Plan, aber ich wollte niemandem durch die Dunkelheit folgen, der nicht wusste, wo er hinging. Ich handelte noch immer in reiner Panik. Ich führte sie über den Tennisplatz und versuchte verzweifelt zu denken. Es genügte nicht, dass wir rannten. Diese Leute waren bewaffnet, sie würden schnell sein, sie konnten mühelos Unterstützung anfordern. Unser einziger Vorteil war, dass sie nicht wussten, ob wir bewaffnet waren oder nicht. Vielleicht nahmen sie sogar an, dass wir sie in einen Hinterhalt führten. Hoffentlich taten sie das. Ich hätte sie sehr gerne in einen Hinterhalt geführt.
Wir gelangten zur Hinterseite des Hauses, wo es dunkler war. Erst jetzt wurde mir klar, dass ich zwar über Hinterhalte nachdachte, Kevin und Corrie aber gleichzeitig in eine Falle führte. Es gab keinen hinteren Zaun und kein hinteres Tor, nur eine Reihe alter Gebäude. Im vorigen Jahrhundert waren sie die Unterkünfte der Dienerschaft, eine Küche und eine Waschküche gewesen. Jetzt wurden sie als Garagen, Schuppen für Gartengeräte und Lagerräume verwendet. Ich hielt die beiden auf. Ich
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