Ein Engel an Güte (German Edition)
Angst einen festen Entschluss gebiert. Aber das Sprichwort sagt, den Topf muss man beim Henkel anfassen, und auf dieses Sprichwort lief letztlich die ganze Weisheit des alten Politikers hinaus.
Nach dieser Sitzung schien es den Senatoren, als seien sie zu den ruhmreichen Zeiten zurückgekehrt, da Venedig als Schiedsrichterin zwischen den Kreuzfahrernationen aufgetreten war; und ein jeder, noch überrascht von dem, was er getan, hielt sich für einen Fabius oder Camillus. 121 Der Name Formianis aber, des Siegers in dieser denkwürdigen Abstimmung, wurde in allen Cafés und auf allen Plätzen begeistert gefeiert.
« Auch heute haben wir das Leck in der alten Galeere noch einmal gestopft», sagte er sich auf dem Heimweg.«Nun wollen wir an uns selber denken und versuchen, unsere beiden Turteltauben zur Vernunft zu bringen.»
An diesem Tag war er ausgezeichneter Laune, und als er am Abend im Geheimtribunal erschien, trat er vor seinen Kollegen mehr wie ein Vorgesetzter auf denn wie ein Gleichgestellter. Als er daher rundheraus den Vorschlag machte, den Prozess gegen diese lächerliche Adelsverschwörung beizulegen und nicht vor den Rat der Zehn zu bringen, fand er bei Seiner Exzellenz Marcoligo volle Unterstützung, und der dritte Richter widersprach nur sehr leise.«Glaubt mir», entgegnete Formiani diesem in geheimnisvollem Ton,«auf dem Grund dieser Sache liegt ein trüber Bodensatz, den wir besser nicht aufrühren sollten. Ihr wisst ja von der Existenz einer gewissen Geheimgesellschaft mit weitverzweigten Verbindungen, die von einflussreichen Personen des Auslands, sogar von Herrschern gelenkt wird, heißt es... und die sich vorgenommen hat, die Welt reinzuwaschen... Hier bei uns, seht Ihr, verhält sie sich ruhig; lassen wir sie also ihre Pläne zur Reife bringen, die immer auf tönernen Füßen stehen werden... Lassen wir dieses Wespennest in Ruhe, andernfalls, versteht Ihr, könnte man uns von auswärts übel mitspielen... mit was weiß ich... womöglich mit einer Kriegserklärung ... natürlich unter anderem Vorwand, versteht sich... und dann, Teufel...! Obendrein bedienen sich diese Gesellschaften nicht eben der harmlosesten Mittel, und eine bittere Schokolade, ein scharf gewürzter Happen, fein in eine Pastete verpackt, könnte demjenigen den Magen verderben, der unsinnigerweise darauf beharrt, sie aufstören zu wollen ... Wer weiß, vielleicht haben sie ja bereits jetzt, da ich zu Euch spreche, begonnen ...»
« Ja, ja, bereiten wir der Sache ein Ende!», rief mit ersticktem Stimmchen der dritte Kollege und betastete seinen Bauch.
« Ich hätte der Angelegenheit schon seit geraumer Weile eine Ende gemacht», sagte Marcoligo,« und ich hatte alles so eingerichtet, dass man diesen Schafskopf von Carmini mit einer einfachen Standpauke ...»
« Ich weiß, ich weiß», fiel ihm Formiani ins Wort,«dass der erlauchte Kollege Marcoligo mit der Dummheit des Grafen Carmini gut fährt; ja, ich weiß sogar, dass er, um dieses sein Schäfchen aus dem Dornengestrüpp zu befreien, eigenmächtig einen gewissen Neapolitaner vor die Tür gesetzt hat ...»
« Alles, um der Sache ein Ende zu machen!», murmelte Marcoligo.
« Ach ja, hm? Dann war es also, um alldem ein Ende zu bereiten, dass Ihr vor drei Tagen der Verhaftung dieser Wirrköpfe zugestimmt und dem Carmini Straffreiheit zugesichert habt?»
« Das geschah... Euch zu Gefallen!», erwiderte Marcoligo.
« Genug!», sagte Formiani.«Was ich unter Straffreiheit verstehe, habe ich Euch gezeigt; doch ich versichere Euch, dass Carmini mit den anderen freikommt; ich wollte nur, dass auch er seinen Anteil zahlt, und Euch zugleich vorführen, dass er nicht nur der größte Esel unter den Angeklagten ist – wofür er nichts kann –, sondern auch der größte Schurke.»Bei diesen Worten zog er unter der Toga die Papiere hervor, die Tramontino ihm ausgehändigt hatte.
« Wohlan, ziehen wir einen Schlussstrich darunter», sagte Marcoligo.
« Gnade für alle!», rief der Dritte.
Und sie unterzeichneten den Befehl, dass sämtliche des Vergehens der Rebellion angeklagten und vor drei Tagen in die Gefängnisse der Inquisition verbrachten Personen nebst des seit sechs Monaten dort weilenden Grafen von Sorrent binnen einer Stunde freizulassen wären.
Um halb zehn, nach einem arbeitsreichen Tag, saß Formiani ganz allein in einer Ecke seines Empfangszimmers.«Teufel», murmelte er,«alles glückt mir, nur diese Angelegenheit mit dem Erben will keine Fortschritte machen...!
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