Ein Engel an Güte (German Edition)
wie üblich auf die Neuigkeiten des Tages, und man sprach von der bewaffneten Neutralität der Republik, von der Vortrefflichkeit dieses Ratschlags, von der nicht auszuschheßenden Möglichkeit eines Krieges und der sichersten Haltung, die in einem solchen Fall einzunehmen wäre. Celio und Morosina, sich selbst und aller anderen Gefühlsbelange vergessend, redeten so, wie im Senat von Venedig seit hundert Jahren nicht mehr geredet worden ist. Aufrechten und von Liebe beseelten Sinnes ergingen sie sich einmütig in wohlbegründeten Überlegungen, treffenden Bemerkungen, leidenschaftlichen Gesten; und es schien ihnen undenkbar, dass angesichts des Hohns von Fremden, die die Republik der Ohnmacht geziehen hatten, das Patriziat nicht zur Kraft und Entschlossenheit eines Dandolo oder eines Zeno zurückfinden sollte. 122 Formiani ließ die beiden jungen Leute reden, und von Zeit zu Zeit zuckte auf dem Grund seiner tief in ihren Höhlen liegenden Augen ein Blitz der Begeisterung auf – so viel vermag großherzige Empfindung, die sich durch Aug und Ohr mitteilt und selbst die skeptischsten Herzen bewegt; doch wie gesagt, das war nur ein Blitz, der auch beinah in einer Träne erloschen wäre, wenn sich nicht wieder das übhche Grinsen auf die schlaffen Lippen des Inquisitors gelegt hätte.
« Nein, ich verzage nicht mehr!», rief Celio schließlich mit einem feurigen Blick auf Morosina.« Wenn ich bedenke, wer ich noch vor drei Monaten und bis vorgestern war; und wenn ich dann in mich gehe und sehe, wer ich jetzt bin, dann habe ich kein Recht mehr, an anderen zu zweifeln.»
Chirichillo, der von dem Winkel aus, in dem er saß, alles beobachtete, hatte diesen Blick des Cavaliere gesehen und war verärgert; Formiani hatte ihn ebenfalls bemerkt und jubelte innerlich.
« Ei, was sagt Ihr denn da, Cavaliere?», bemerkte er nun.«Ihr fühlt Euch so erneuert und habt doch nicht genug Einsicht, um den Abstand zwischen Euch und diesen Schranzen und Scharwenzlern um das Goldene Buch zu ermessen...? Schweigt still!», versetzte er, da er sah, dass Celio antworten wollte.«Ich bin alt und verstehe davon mehr als Ihr. Ihr habt aus bloßem Nachahmungstrieb und jugendlichem Übermut heraus getan, was ich zu meiner Zeit tat und die jungen Leute von heute aus natürlicher Verdorbenheit tun. Ich will Euch Gerechtigkeit widerfahren lassen und deklarieren, dass Ihr besser seid als wir!»
Bewegt und stolz über das hohe Lob, das Celio von einem mit Lob geizenden Mann wie Formiani gespendet wurde, warf Morosina ihrem Gemahl einen Blick des Dankes zu, dem jungen Mann einen Blick der Liebe. Chirichillo bebte, dem Inquisitor aber lachte das Herz.
« Jetzt muss ich gehen», sagte Celio und erhob sich.«Und seien Sie versichert, Exzellenz, dass Ihre Worte den Gewissensbissen, die ich mir wegen meines Hochmuts machte, die Spitze genommen haben. Ich werde Ihnen mein Leben lang dankbar sein dafür!»
« Ihr geht?», sagte Formiani.«So hoffe ich aber doch, dass Ihr uns gestattet, Eure Befreiung morgen bei Tisch zu feiern, und dass Ihr kommt, um mit uns darauf anzustoßen?»
« Das wäre mir eine große Ehre», antwortete Celio bescheiden,«doch schwerwiegende Gründe zwingen mich, Venedig morgen früh bei Tagesanbruch zu verlassen, und es wird mir auch längere Zeit nicht vergönnt sein, an diese bezaubernden Gestade zurückzukehren.»
« Wie...? Venedig verlassen? Lange nicht zurückkehren?», rief der Inquisitor aufrichtig überrascht und verärgert.«Was ist denn das für ein Tort, den Ihr uns da antut? Ich hoffe sehr, das ist nur ein Scherz?»
Unterdessen hatte er wutentbrannt Morosina und den Cavaliere gemustert, doch als er sie in stillem Einvernehmen sah, unter Schmerzen zwar, aber doch fest entschlossen, die Trennung auf sich zu nehmen, flaute sein Zorn ab und wurde zu Ärger, aus dem Ärger wurde Erbarmen und aus Erbarmen Bewunderung. Der Schreiber, hochzufrieden und gerührt, hatte Mühe sitzen zu bleiben.
« Tut, wie Euch beliebt, Cavaliere», sagte Formiani mit bewegter Stimme und ließ die Arme schlaff herabhängen.
« Danke, Exzellenz!», erwiderte Celio.«Ihre Güte mir gegenüber würde Ihnen alles Recht geben, über mich zu verfügen; danke für diesen Urlaub, und glauben Sie mir, Sie werden nie einen beflisseneren Diener haben als mich.»
« O ja!», rief Morosina, als ob ihre Seele nicht schweigen könne, wenn Celios Seele sprach.
Chirichillo, der sich erhoben hatte, trat hinter sie und zupfte sie am Ärmel, worauf sie sich
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