Ein Engel an Güte (German Edition)
Bärtchen zierte seine Oberlippe, und er war schon ein Meister in gewandtem Auftreten und Galanterie. Der männliche Gesichtsausdruck wie auch sein offenes, entschlossenes Wesen unterschieden ihn jedoch vom Gros der Jugend dieser Zeit und trugen ihm zugleich die Sympathie des Mädchens ein. Das Zusammensein mit dem jungen Mann, versüßt durch die Erinnerung an frühere, nun verbotene, aber insgeheim immer noch ersehnte Vertraulichkeit, bildete im Herzen des jungen Mädchens den Keim zu einer vollkommen reinen Liebe. Weder wurde sie es gewahr, noch belastete es sie. Celio begegnete ihr jedoch keineswegs in gleicher Weise; verdorben durch allzu große Freizügigkeit in jungen Jahren, erblickte er ganz im Gegenteil in der Fortsetzung dieser Kinderfreundschaft die Anbahnung eines künftigen Liebesverhältnisses.
Obwohl man hätte meinen können, er habe den Kopf in den Wolken, war Chirichillo doch viel zu besorgt um sein Mädchen, als dass er die Absichten des jungen Mannes nicht durchschaut hätte, und so war er bestrebt, sie durch seine Anwesenheit zu vereiteln und auch durch gute Ratschläge, die er freilich ganz allgemein hielt, um Morosinas jungfräuliche Seele nicht durch vorzeitige Ängste zu verstören.
In Castelfranco blieben sie zwei Jahre, und auch wenn Celio im Herzen des Mädchens zu seiner großen Genugtuung erhebliche Fortschritte gemacht hatte, war er seinem eigentlichen Ziel doch in nichts nähergekommen.
Unterdessen musste Valiner wieder einmal den Ort wechseln, und durch Fürsprache Formianis wurde ihm die Podesteria von Muggia in Istrien zugeteilt; doch dieses Mal kam mit der Ernennungsurkunde ein Schreiben seines Gönners, worin ihm befohlen wurde, sich unverzüglich nach Venedig zu begeben. Ganz allein brach er auf und sollte nicht mehr wiederkehren; erst einen Monat später vermeldete er aus Muggia, dass er dort mit einer hochadeligen venezianischen Dame eingetroffen sei, die eingewilligt habe, seine Frau zu werden und zugleich dem Töchterchen eine liebevolle Mutter. Am folgenden Tag solle die Hochzeit gefeiert werden; er brenne darauf, Morosina wiederzusehen, doch im Augenblick hinderten andere Verpflichtungen ihn daran; Chirichillo solle das Mädchen vorerst nach Venedig bringen und sie im Namen Seiner Exzellenz Formiani dem Kloster der Seraphinerinnen übergeben, wohin er, ihr Vater, und vielleicht auch Signora Cecilia, seine Gemahlin, am letzten Sonntag des April (damals war Januar) kommen würden, um sie in die Arme zu schließen. Chirichillo solle alsdann von Venedig direkt nach Muggia weiterfahren, wie ein beigefügter Befehl der Signoria lautete. Man weiß nicht, bei wem Staunen und Bestürzung über dieses Schreiben größer waren, bei Morosina oder Chirichillo. Gewiss weinten beide bitterlich; doch in ihrem moralischen Wertesystem spielte Geduld eine viel zu große Rolle, als dass sie auch nur einen Impuls der Auflehnung gegen die Ratschlüsse der Vorsehung verspürt hätten. So verfügte denn der Schreiber mit dem wenigen Geld, das er hatte, sich und das Mädchen und den Hausrat von Castelfranco nach Venedig; da er dort keinerlei Ausgaben für die Aussteuer des Mädchens tätigen musste, weil Formiani für alles reichlich gesorgt hatte, blieb ihm in seiner schmalen Börse noch so viel, dass er sich die Überfahrt nach Istrien per Schiff leisten konnte. Aber der Schmerz über die Trennung von der Kleinen und deren Tränen setzten ihm noch monatelang zu; und sein ganzes weiteres Leben war eine einzige Erwartung jenes seligen Tages, an dem sie das Kloster verlassen und ins väterliche Heim zurückkehren würde und in die Arme...«Ach nein, in die Arme nicht mehr!», jammerte er,«aber wenigstens wieder unter die Augen ihres lieben Alten!»
Nachdem sie die schreckliche Traurigkeit der ersten Tage überwunden hatte, war für Morosina das Leben, das ihre Mitschülerinnen in Müßiggang, Klatsch und Gefallsucht führten, etwas Neues. Zunächst wunderte sie sich und lachte darüber; als sie jedoch tieferen Einblick gewann, schämte sie sich für sie; als sie durch lange Gewöhnung an den Umgang im Sprechsaal erkannte, wie diese venezianische Gesellschaft beschaffen war und dass die Sitten der Pensionärinnen nur ein leiser Vorgeschmack darauf waren, erschauderte sie. Die Tatsache, dass sie bei Eintritt in das Institut kein Kind mehr war (sie wurde bald fünfzehn), und die wenn auch nicht vollkommenen, zumindest gesunden Prinzipien, die Chirichillo ihr beigebracht hatte, verhinderten
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