Ein Engel an Güte (German Edition)
mit erhobener Stimme.«Vielleicht erleidet sie ja häufiger solche Anfälle, und es wäre gut, das zu wissen. »
« Tatsächlich ist es ihr gestern bei Tisch ähnlich ergangen», stammelte Celio,«aber der Grund dafür war die unverhoffte Ankunft ihres Vaters.»
Unterdessen kam Morosina mit einem tiefen Seufzer wieder zu sich und brach in heftiges Weinen aus, sobald ihr ein Blick auf den Inquisitor und den Cavaliere ihre traurige Lage wieder zu Bewusstsein brachte. Sie wandte sich an Moretta, die ihr den Kopf stützte, und flüsterte ihr die Frage ins Ohr, wo ihr Vater sei, und als sie hörte, er sei unten in der Küche, bat sie, man möge ihn rufen und ihn mit ihr allein lassen. Valiner erschien bald darauf; wäre die Ohnmacht eine halbe Stunde später eingetreten, so hätte man ihn wohl kaum mehr vom Küchentisch fortbekommen, auf den sein Kopf schon herabgesunken war. Glühend rot im Gesicht, schnaubend und dem einen oder anderen verschlafen ins Gesicht blinzelnd, trat er ans Bett seiner Tochter.
« Oh, der Schlaf hat dich beizeiten eingeholt, mein Töchterchen...! Du warst müde und hast dich aufs Bett geworfen, nicht wahr? Brav, sehr brav!», sagte er, rückte ihr das Kissen zurecht und küsste sie auf die Stirn.
Dann wandte er sich um, als wolle er die Leute, die bei seiner Ankunft noch da gewesen waren, befragen, doch er sah niemanden mehr und fuhr fort:«Teufel, sollte ich mich geirrt haben? Also, äh, meine Liebe, wie ist es dir ergangen beim Spiel da oben...? Ich, siehst du, ich habe mich gestern Abend ziemlich gelangweilt dabei, also mich kriegt man nicht mehr dazu.»Er verstummte, als er sah, dass das Mädchen leichenblass wurde und sich mühsam die Hand aufs Herz legte.«Tut dir vielleicht etwas weh, mein Kindchen?», fragte er ängstlich.
« Stimmt es, lieber Vater», hauchte sie,«dass man mich... dass man mich mit Seiner Exzellenz Formiani verheiraten will?»
« Aber sicher, ja, das ist es...! Wahrhaftig, jetzt entsinne ich mich», rief Valiner fröhlich.«Für sich wollte er dich...! Was für eine Ehre, hm...? Wie findest du das? Lass dich davon bloß nicht schrecken oder einschüchtern, hörst du, damit uns dieses großartige Los nicht entgeht... Ist dir klar, dass das für dich und für uns eine ganz großartige Stellung bedeutet, ganz zu schweigen von...»
Morosina schluckte still ihre Tränen hinunter und ließ ihren Vater des Langen und Breiten über die erfreulichen Umstände dieser Ehe reden. Der arme Teufel fasste die Sache nach seiner Manier auf, hielt er Morosinas Glück doch für garantiert, wenn ihr zeitlebens all die Annehmlichkeiten und der selige Müßiggang gesichert waren, woraus damals das venezianische Leben bestand. Für alles Übrige hatte er kein Verständnis; es war aber auch nicht seine Schuld, wenn Mutter Natur ihn in einem Augenblick der Langeweile oder der Zerstreutheit geschaffen hatte.
« Gute Nacht, Herr Vater...!», sagte Morosina, nur mit größter Mühe die Tränen zurückhaltend; und doch empfand sie Mitleid mit den immer kleiner werdenden Augen des Podestà.«Sie können jetzt schlafen gehen, denn ich... brauche nichts weiter.»
« Gute Nacht, gute Nacht, mein Schatz...! Gute Nacht, mein Liebling!», sagte der Podestà und küsste sie zärtlich.«Und träum von der Hochzeit, mein Engel. An jenem Tag, ja, da wollen wir fröhlich sein.»
Und der brave Magistratsbeamte verließ das Zimmer und malte sich die Hochzeitstafel seiner Tochter aus, mit hundert Gedecken darauf, einer Unmenge von dampfenden und duftenden Schüsseln, vor allem aber diesen heiß geliebten Flaschen...«Basta!», brummte er auf halbem Weg in sein Zimmer.«Das soll ein großer Tag werden! Bravo, Seine Exzellenz Formiani, fürwahr! So gefällt es mir!»Über solchen Gedanken schlief er eine halbe Stunde später ein.
Vom Unbehagen seiner Tochter und von ihren Seufzern hatte er zuletzt doch etwas bemerkt, aber in seiner ganz aufs Materielle gerichteten Geistesart war er der Meinung, das sei das Getue einer Jungfrau, die sich zimperlich stellt, wenn sie den Namen des Bräutigams erfährt, sich dann aber doch in alles schickt und besser zurechtkommt als alle anderen. Dass es ihr Kummer bereiten könnte, mit dem einen statt mit einem anderen Mann verheiratet zu werden, kam ihm gar nicht in den Sinn. War sie erst einmal die Gemahlin Formianis, konnte sie da nicht nach Belieben unter der gesamten männlichen Jugend Venedigs auswählen? Deshalb hatte er so getan, als bemerke er nichts, er glaubte,
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