Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ippolito Nievo
Vom Netzwerk:
ihr diese Flausen schon auszutreiben, wenn er ihr die glänzende Position vor Augen führte, die sie erwartete, und all die Vorteile und Annehmhchkeiten, die ihm selbst daraus erwuchsen. Morosina verstand diese Denkweise ihres Vaters vollkommen, es war ja nicht das erste Mal, dass sie gewahr wurde, wie beschränkt er in seinen Auffassungen war, daher konnte sie ihm die gut gemeinten, obgleich banalen Absichten, die ihn lenkten, nicht verübeln. Und hatte sie gleich den Trost, den sie sich von ihm erhofft hatte, nicht bekommen, so konnte andererseits der Kummer, von dem ihr Herz indessen schier überquoll, auch nicht größer geworden sein. Kaum war sie allein, riss sie sich verzweifelt die Kleider vom Leib, warf sich mit dem Gesicht in die Kissen und brach in hemmungsloses Weinen aus.
    Geheimnisvoll ist, wie leider so vieles andere auch, dieser innige Austausch, oder besser, diese unmittelbare Einheit zwischen Geist und Materie, weshalb sie sich in ihrem Leiden gegenseitig Erleichterung zu verschaffen vermögen. Der von Angst geplagte Geist schöpft aus der Drangsal des Leibes neue Kraft und Vergessen, und dieser spürt durch die Erquickungen der Seele oft die grausamsten Qualen nicht. Und tatsächlich hält die Verzweiflung – dieses blinde Verlangen nach dem, was nicht ist, nach dem Nichts – nur schwer dem Andrang der Tränen stand; von Tränen benetzt, verlieren selbst die schmerzlichsten Leidenschaften einen Gutteil ihrer zerstörerischen Kraft, und sanfter träufeln sie der Seele jenes Gran Hoffnung ein, das auf dem Grund einer jeglichen von ihnen ruht. So erging es Morosina auch – es war, als hätte dieser reichliche Tränenfluss alles Harte an ihrem Kummer hinweggespült und in ihrem ganzen Wesen nur eine matte, resignative Schwermut zurückgelassen. Eben noch, man muss es gestehen, war Celio ihr wie ein Henker erschienen, der sich freiwillig erbot, ihr in tausenderlei Arten das Herz zu zerfleischen; jetzt hingegen empfand sie mehr Mitleid als Abscheu für ihn, und zwar so großes Mitleid, dass es schon wieder der Liebe glich. Denn so sind die wahrhaft guten Seelen nun einmal: Je weniger vollkommen sie den geliebten Gegenstand finden, umso teurer ist er ihnen, und sie geben sich Mühe, die ihm fehlenden Tugenden durch die Macht der Liebe zu ersetzen. So ging der Sturm nur ganz sacht über dieses wahrhaft engelsgleiche Herz hinweg; und nicht eine der dort sprießenden Blumen büßte ihren jungfräulichen Duft ein; auch sammelte sich dort nicht der bittere, ungerechte, rachsüchtige Schmerz, der sich in rasender Wut gegen andere richtet.
    Sie fühlte auf immer alle Freude und Hoffnung in sich erstorben, lebendig stieg sie ins Grab, ohne einen Gedanken des Hasses oder der Verwünschung für ihre Mörder. Nicht einmal Formiani konnte sie etwas verübeln. War er nicht in gewisser Hinsicht einem armen Mädchen weit überlegen? War es nicht eine wahrhaft beneidenswerte Ehre für sie und ihren Vater, dass sie für würdig erachtet wurde, als Gattin seine Sorgen zu teilen und seinem gebrechlichen Alter eine Stütze zu sein? War die Familie Valiner ihm dieses Opfer von ein paar Jahren nicht schuldig für die Protektion, die das Haus Formiani ihr seit Jahrhunderten gewährte? Und wenn diese Hochzeit in anderer Hinsicht als unpassend erscheinen mochte – stand es ihr zu, ein Urteil darüber zu fällen? Haben Töchter vielleicht umsonst einen Vater? Dürfen sie sich etwa zum Richter über ihn und sein Urteilsvermögen aufwerfen?
    Nachdem sie sich selbst mit frommer Beharrlichkeit all diese Gewissenfragen vorgelegt hatte, trocknete Morosina ihre Tränen, zog die übrigen Kleider aus, rückte Decken und Kissen zurecht und streckte sich aus, als glaubte sie, schlafen zu können. Aber wie man leicht einsieht, war all dies ein Streben nach Ergebung, das den tiefen Aufruhr der Seele ganz und gar nicht zu beschwichtigen vermochte. Und die schreckliche Diskrepanz zwischen dem Celio, von dem sie lange Jahre geträumt, und dem anderen, den sie nun eben gesehen, erkannt und berührt hatte, erschütterte ihr Herz und ihren Geist zu tief, als dass der Vorsatz zur Duldsamkeit allein ausgereicht hätte, ihr den Frieden wiederzuschenken, und sei es auch nur Frieden im Schmerz. Sie wiegte sich also in der Illusion, den tödlichen Schlag mit Seelenstärke ertragen zu haben; und dabei bemerkte die Ärmste nicht, dass ihr kleines Herz durch seine heftigen Zuckungen stets kurz vorm Zerspringen stand und dass unentwegt Tränen den Augen

Weitere Kostenlose Bücher