Ein Engel an Güte (German Edition)
Vorbilder, um zu ihren geistigen Prinzipien zurückzukehren. Da bedauerte er, nicht früher erkannt zu haben, was für eine engelsgleiche Seele sie war, so dass er sie auf die richtige Weise hätte behandeln und so seine Absichten hätte verwirklichen können.
« Jetzt, ja, jetzt sehe ich vollkommen klar in diesem Köpfchen!», dachte er.«Verflixt, ist es denn meine Schuld, wenn ich das zuerst falsch gesehen habe? Sie sind doch alle gleich, aber die hier ist eine halbe Heilige, und bei ihr muss man zweimal hinschauen. Bei Gott, alles ist mir günstig, nur sie muss die Widerspenstige spielen, sie, die mich fünfzehn Jahre lang geliebt hat, wie sie gestand, sie, die mich trotz ihrer Zurückhaltung immer noch liebt, meinen Kopfwürde ich darauf verwetten...? Oh, wir werden sehen...!»Nach diesen Überlegungen veränderte er seine Strategie grundlegend: Er spielte den Leidenden, den Melancholischen, den Kranken. Formiani mied er, und Morosina sah er mit verstörtem, flackerndem Blick an; schheßlich kam die Nachricht, Cavalier Terni liege mit einem rätselhaften Fieber darnieder, und einen Monat lang erschien er nicht mehr in den Zirkeln der venezianischen Gesellschaft.
In der Zwischenzeit war aus Rom der Dispens für die Vermählung Formianis mit Morosina eingetroffen. Wie es in deren Innerem aussah, kann sich jeder ausmalen; umso mehr, als sie, nachdem sie von Celios Krankheit vernommen hatte, über die Ursachen derselben nachgrübelte und aus seinem letzthin so sonderbaren Benehmen schloss, sie müsse Folge seines Kummers sein; vielleicht Reue über sein leichtfertiges Benehmen an jenem Abend, Verzweiflung darüber, dies nicht wiedergutmachen zu können, unbezwingliche Liebe, die aber durch die Heiligkeit der Bande, die sie einging, unmöglich gemacht wurde und ihn einem langsamen und qualvollen Tod entgegenführte. Trotzdem nahm sie kein Wort von ihrem Gelöbnis zurück, wankte nicht einen Augenblick, vergoss keine Träne über die bittere Notwendigkeit. Sie betete einzig zu Gott, freute sich am Glück des Vaters, begegnete Formiani mit kindlicher Fürsorge und führte lange Gespräche mit dem alten Gerichtsschreiber; aus diesen Unterredungen bezog sie die Kraft, die ihr allmählich zu schwinden drohte, da sie so viel davon verausgabte.
Seine Exzellenz behandelte das Mädchen nach wie vor mit väterlicher Güte, nur nannte er sie seine kleine Braut und tadelte sie jedes Mal, wenn ihr ein«Pate»oder ein«Exzellenz»entschlüpfte, denn er wollte nunmehr von ihr mit seinem Vornamen Niccolö angeredet werden oder, wie seine Angehörigen sagten, Coletto. Auch er hatte, noch eher als alle anderen, Celios Fernbleiben und dessen Auswirkungen auf Morosina bemerkt, doch das beunruhigte ihn nicht, im Gegenteil, er musste herzlich lachen, als Bernardo ihm eines Abends im Scherz mitteilte, dass der Cavalier Celio, wenn die Hochzeit nicht bald stattfände, es leid sein könnte, mit den Edelleuten aus Treviso Luftschlösser zu bauen, und womöglich vorzeitig von seiner Krankheit genesen würde.
« Die Trauung findet übermorgen statt», hatte der Inquisitor geantwortet,«und du kannst ganz unbesorgt sein, schon am Abend darauf werden wir die bleiche oder mit Mehl bestäubte Gestalt des Cavaliere wie einen Schatten hier aufkreuzen sehen...! Verdammt, was für ein Auftritt! Man wird sich vorkommen wie beim Gastmahl des Don Giovanni...! 92 Nur dass es sich dort um einen Komtur aus Stein handelt, hier aber um einen Cavaliere aus Fleisch und Blut.»
Tatsächlich wurde die Trauung eines Montagabends in der Hauskapelle vollzogen; den Segen erteilte Don Gasparo, anwesend waren nur der Vater der Braut, Chirichillo und Bernardo. In dieser Nacht herrschte tiefe Stille im Hause Formiani, das war die einzige Gunst, die die Braut erbeten hatte. Doch am darauffolgenden Abend wurde in großer Gesellschaft gefeiert; Morosina hingegen saß, müde von all dem Trubel und blass, ganz allein in einem kleinen Nebenraum, war in Gedanken versunken und hatte die Welt um sich her vergessen, als sie plötzlich spürte, wie ihre Hand ergriffen wurde.
« Du wirst deinen Verrat teuer bezahlen, vor mir und vor Gott», raunte dumpf die Stimme eines Mannes, der sich über sie beugte.
Starr vor Schreck hob sie den Blick, und im schwachen Schein eines Spiegels, der das Licht aus den anderen Räumen reflektierte, sah sie Celio, der sich mit finsterem Blick, totenblasser Miene und schwankendem Gang langsam entfernte und drohend die Hand gegen sie
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