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Ein Engel an Güte (German Edition)

Ein Engel an Güte (German Edition)

Titel: Ein Engel an Güte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ippolito Nievo
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ausstreckte.
    Bernardo, das Auge Gottes, schilderte dem Inquisitor diese Szene noch am selben Abend.
    « Da sind die Rollen vertauscht!», rief dieser.« Wer gestern zögerte, eine Gunst zu gewähren, wird morgen darum betteln...»
    Und in dieser überaus schmeichelhaften Gewissheit schlief der unerbittliche Oheim ein.

VII
Verrechnet
    In ganz Venedig wurde die Vermählung Seiner Exzellenz Formiani besungen, erörtert, kommentiert. Besungen wurde sie von den Dichtern, deren es allenthalben genug gab, arme, halb verhungerte Zikaden in ihren Löchern, die von den Brosamen vom Tisch der Patrizier kaum satt wurden; besungen auch von der zahlreichen Akademien, in diesen Zeiten geschäftigen Müßiggangs wahre Schulen sinnentleerter Betriebsamkeit; besungen auch, mit mehr Glück als alle anderen, von Don Gasparo, den das Hochzeitsmahl für die bei dieser Gelegenheit herausgeschmetterten zweihundert Terzinen vollauf entschädigte. In sämtlichen Cafés wurde sie erörtert, auf Gesellschaften, in den Sprechsälen der Klöster, in den Spielsälen und an anderen Orten, die man besser nicht erwähnt, die aber bei der venezianischen Aristokratie dieses goldenen Zeitalters über die Maßen beliebt waren. In jedem vertraulichen Zwiegespräch, in jeder einsamen Gondel, in jeder Sakristei wurde sie kommentiert; doch so sehr die Phantasie in diesen hitzigen venezianischen Gemütern auch brodeln mochte, niemandem gelang es doch, sich vorzustellen, was der Inquisitor mit dieser Hochzeit so glücklich meinte bewerkstelligt zu haben. Und das mag als schlagender Beweis dafür dienen, wie haushoch der alte Steuermann selbst im Müßiggang seinen Zeitgenossen überlegen war – an Scharfsinn, in Klugheit des Handelns und in der Wahl von Menschen und Mitteln. Einzig der edle Signor Vettore hatte, mit dem wundersamen Scharfblick, den die Natur einem verarmten Neffen verleiht, in dieser Heirat eine Gefahr erblickt; zunächst schätzte er sie als Gefahr ein, bei näherer Betrachtung erkannte er darin eine Bedrohung und hätte sich um ein Haar aus dem Fenster gestürzt. Nur eine gewisse Anhänglichkeit an das liebe Leben, wie sie für das damalige venezianische Patriziat typisch ist (man schrieb das Jahr 1749 93 ), hielt ihn ab von diesem Versuch, und er verlegte sich auf einen anderen, weniger verzweifelten; er kratzte nämlich die letzten Reste aus seiner Geldschatulle zusammen, um vor den wundertätigsten Heiligenbildern Tridua und Novenen 94 lesen zu lassen, auf dass seine Wünsche in Erfüllung gehen mögen. Und diese Wünsche hatten dreierlei Gestalt: entweder, dass der liebe Oheim umgehend zur Glorie des Paradieses erhoben werden oder dass die frisch erworbene junge Tante dem ewigen Frieden entgegenschweben oder aber dass die fromme Frau wenigstens bei ihrem frommen Lebenswandel bleiben und keine Kinder bekommen möge. Indessen murrten die Gläubiger; doch Signor Vettore wies ihnen die blanke Schatulle vor und wusste sie zu überzeugen, dass sie dem Herrn Oheim durch ihr Gezeter doch ja keinen Vorwand liefern sollten, ihn zu enterben.
    Der Podestà war ganz selbstverständlich zu seinem Leben von vor zwanzig Jahren zurückgekehrt. Asolo und Kalkutta waren für ihn mittlerweile ein und dasselbe, und seit der Hochzeit seiner Tochter hatte er noch kein einziges Mal an seinen Amtssitz und an die edle Dame Cecilia gedacht. Doch eines Morgens lief er Gefahr, sich daran zu erinnern, denn als er sich gerade anschickte zu frühstücken, wurde ihm ein Brief aus Asolo übergeben, auf dem in großen Lettern« Eilt»geschrieben stand.«Eilt!?», sagte der Podestà bei sich; und da es ihm nicht eilte, steckte er den Brief in die Tasche.
    Zwei Tage fröhlicher Ess- und noch besserer Trinkgelage zogen über dieses«Eilt»hinweg, als dieser Brief dem Valiner bei der Suche nach seinem Taschentuch zufällig wieder in die Finger geriet. Er zog ihn heraus mit einem Gesicht, als hätte er sich die Hände an irgendeiner Schweinerei schrecklich schmutzig gemacht; da fiel sein Blick auf dieses«Eilt», und schon war er im Begriff, den Brief zu öffnen.«Und die Brille?», dachte er.« Wenn ich den Brief jetzt auch erbreche, so wird es mir doch wahrhaftig wenig nützen, wenn ich ihn nicht lesen kann», und er steckte ihn wieder ein.
    Schließlich kam ihm der Brief ein drittes Mal unter die Augen, als er dem Kammerdiener beim Ausbürsten des Rocks aus der Tasche glitt.«Ei, sieh da», sagte dieser,«dieser Brief ‹eilt› und ist immer noch versiegelt!»Er reichte

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