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Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie

Titel: Ein Engel an meiner Tafel - eine Autobiographie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Schreibens einen Platz an einem Schreibtisch oder Esstisch bedeuten, den ganzen Vormittag oder den ganzen Tag lang, und Stille, Abgeschiedenheit und Schlaf.
    Niemand erwartete von mir, dass ich an Mutters Begräbnis teilnahm; ich erfüllte die Erwartungen meiner Familie, indem ich mich nicht dazu imstande fühlte. Stattdessen bat ich meinen Vater, mir die Beileidsbriefe und -telegramme zu senden, die ich beantwortete. Dann feierte und betrauerte ich Mutter in einer Handvoll Gedichte. Ihre rhythmische Bewegung ist nicht gut, aber sie geben Einzelheiten von dem wieder, was ich damals dachte.
    Verbrennt die schmutzigen Kleider, in denen sie starb,
    die säuerlich riechenden Strümpfe, das fleckige Kleid,
    das löchrige Kettenhemd, das sie trug
    zum Empfang der traurigen Überraschung,
    der Morgenüberraschung des Todes.
     
    Hängt das Kostüm auf einen Kleiderbügel,
    auf die Wäscheleine, sodass der Wind
    die Fetzen kranken Unglücks
    in die Bäume weht und in die nächste Stadt.
    Legt die Leintücher des Todes
    auf den Rasen, damit Tau und Sonne
    sie bleichen und reinigen.
     
    Ich sage, dass nur Feuer und Luft
    mildtätige Einrichtungen sind,
    also gebt ihnen den Groschen eurer Trauer
    und weist die Erde und das Wasser zurück,
    die ihren Leib begruben, sie ertränkten in zu vielen Tränen.
    Ein anderes Gedicht –
    Deren Tod nie seinen Augenblick töten wird, räuchert aus
    ihrem Herzen das kleine, schreckliche Frettchen der Zeit
    wird nie wieder gehen, ihr schwerer Leib in Kleidern
    übergroß, Sonnenblumenhut; in Siebenmeilenstiefeln
    durch Sumpf, Stallmist, Schneegras hinter ihrem entlaufenen
    Kaninchen Gott, der sich tief vermehrte, sein Bau
    eingegraben versteckt vor dem Habicht unter ihrer Wiese
    aus Stein und Dornen, Schwertlilien und Farn.
    Wenn auch mein Meißel aus Salz
    ihren Stein nicht schneiden oder neu formen wird,
    meine Tränen den Flug der Distelwolle
    nicht beschleunigen oder ihre Flugzeit verraten,
    wenn auch die Nacht ihre Lilien peitscht,
    ihren blauen Sumpfsonnenaufgang,
    zeugen ihre zuckenden Götter doch im Dunkeln,
    lassen die irren Habichtsflüchtlinge immer noch
    herabfliegen auf ihr Bett aus Farn, sanft schlafen.
    Was sonst konnte ich schreiben, mit dem Beispiel von George Barkers «Nächste, Teuerste, Liebste und Fernste» und Dylan Thomas’ «Nach dem Begräbnis, dem Maulesellob und -geschrei» vor Augen?
    Damals beschäftigte ich mich mit verdichteter Bildsprache und der Verwendung allgemeiner Begriffe – Liebe, Tod, Barmherzigkeit, Herz –, die wie kleine Handgranaten mitten in ein Gedicht gesetzt sind; das Gefühl, das sie berührt, sprengt sich selbst in ohnmächtige Fragmente, und so ist es am Ende des Gedichts entweder zerstört oder aufgelöst, und nichts bleibt zurück. Die verdichtete Bildsprache hat auch die Wirkung einer Reise mit dem Düsenflugzeug: Man sieht nichts von der Landschaft unten und ist daher unbeeinflusst davon, und wenn man an seinem Ziel ankommt – oder am Ende des Gedichts –, ist man, abgesehen von der Eintönigkeit der Reise, so frisch wie beim Aufbruch, und das Gedicht könnte ebensogut nichts sein, ein Schatten.
    Bei meinen Versuchen, Gedichte zu schreiben, gab ich mein Bestes, obwohl ich wusste, dass die Gedichte nicht «gut» waren. Ich verschwendete viel Gefühl (das besser für die Stärkung der Gedichte aufgewendet worden wäre) in derHoffnung, sie seien gut, obgleich ich wusste, dass sie es nicht waren – der Eiscreme-Genuss eines Traums.
    Ich schrieb noch ein Gedicht über Mutters Tod, «Ihre Augen erflehen das Licht und werden getäuscht vom Licht», das ich Karl Stead vorlas, und obwohl er einige Jahre jünger war als ich und weniger Lyrik geschrieben hatte, waren sein Urteil und sein Sinn für Genauigkeit schärfer ausgeprägt als bei mir. Er hörte zu und sagte wenig, aber als er die Worte «die Dezembersonne, glühendste Todesanwältin» mit einem leichten Stirnrunzeln wiederholte, wusste ich, dass das Gedicht misslungen war, weil ich daraufhin, so wie jemand, der bei einem Vergehen erwischt worden ist, den Drang hatte zu sagen: »Oh, ich kann alles erklären.»
    Das konnte ich auch. Die Metaphorik war gut ausgearbeitet, aber sie schlug nicht ein.
    Ihre Augen erflehen das Licht
    und werden getäuscht vom Licht,
    Gekritzel, nichts, ist in ihnen und außerhalb –
    das Unheil oder die Prozesspartei, flammenumzingelnd,
    vom Niedergang bezahlt, ihr Leben zu belangen;
    denn nun, in der Größe der Trauer, sondieren

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