Ein Engel fuer Emily
von denen Sie keine Ahnung haben. Und ...«
»Vorsicht, Emily, sonst geben Sie noch zu, dass Sie mir glauben.«
»Ich glaube, dass Sie sich einbilden, Geister zu sehen und ...«
»Was würden Sie mit mir tun, wenn ich wirklich ein Engel wäre?«
»Sie beschützen«, antwortete sie, ohne vorher nachzudenken. Sie wurde rot und starrte verlegen auf den angebissenen Schokoriegel in ihrer Hand. Sie konnte kaum fassen, dass sie dieses Zeug wirklich aß. Engel beschützten Menschen, nicht umgekehrt.
»Was würde Sie dazu bringen, mir zu, glauben? Ein Wunder? Eine Vision? Was?«
»Ich weiß nicht.« Sie stand auf und packte die Sachen zusammen, dabei wich sie geflissentlich seinen Blicken aus.
»Wie heißt das, wenn jemand am Straßenrand steht und darum bittet, mitgenommen zu werden?«
»Trampen«, sagte sie schnell, dann musterte sie ihn streng. »Lassen Sie sich bloß nicht einfallen, das zu tun. Es ist gefährlich.«
»Wenn Sie mich irgendwo absetzen, trampe ich in Ihre Stadt und suche allein nach dem Bösen, das Sie bedroht. Kein Mensch wird erfahren, dass Sie mich jemals getroffen haben.«
»Und innerhalb von zehn Minuten nach Ihrer Ankunft in der Stadt wird man die Polizei auf Sie aufmerksam machen«, versetzte sie. Sie verstaute den restlichen Proviant im Kofferraum, aber Michael rührte sich nicht von der Stelle. Er saß am Tisch, erfreute sich an der Aussicht und trank diesen grässlichen, zuckerhaltigen Saft, der ihm offensichtlich nicht schmeckte, aber natürlich würde er das niemals eingestehen.
Ich sollte ihn hier lassen, dachte sie. Ich sollte einfach wegfahren. Ich bin nicht für ihn verantwortlich, und ich brauche keine Komplikationen in meinem vollkommenen Leben. Ja, sie fand ihr Leben vollkommen. Sie hatte alles, was sie sich wünschte: einen Job, der sie ausfüllte, einen Mann, den sie liebte, Freunde - und sie hatte gerade eine Auszeichnung von der National Library Association bekommen. Das Einzige, was noch fehlte, war die Hochzeit mit Donald und zwei Kinder.
Aber sie überließ Michael nicht sich selbst, sondern ging zu ihm zurück, nahm ihm gegenüber Platz und sah sich die Landschaft an.
>>Vielleicht könnten Sie etwas über das Madison-Haus für mich herausfinden«, sagte sie mit Bedacht. »Ich würde gern ein Buch über die Dinge schreiben, die sich dort ereignet haben. Ich habe bereits einige Recherchen angestellt, aber mir fehlen noch Informationen.«
»Worum geht es?«, erkundigte sich Michael so beiläufig, als könnte er dafür kaum Interesse aufbringen. »Es gibt immer einen Grund dafür, dass der Geist eines Sterblichen die Erde nicht verlassen will.«
»Ich habe mein ganzes Leben lang die Geschichten über das Madison-Haus gehört. Wir Kinder haben uns immer gegenseitig Angst gemacht und behauptet, der alte Madison würde spuken und uns holen, aber in den letzten Jahren, habe ich ... ich weiß auch nicht, aber irgendwie habe ich mit einem Mal mehr Mitgefühl.«
»Sie waren immer bereit, anderen zu helfen.«
Sie war drauf und dran, ihm zu verbieten, so zu tun, als würde er sie schon Ewigkeiten kennen, besann sich aber eines anderen. Wieso sollte sie ein Kompliment zurückweisen? »Die Geschichte ist simpel, und Ähnliches ist früher bestimmt oft vorgekommen. Eine schöne junge Frau verliebte sich in einen gut aussehenden, aber armen jungen Mann. Der Vater verweigerte seiner Tochter die Erlaubnis, den Geliebten zu heiraten, und zwang sie stattdessen, sich mit einem seiner Freunde, dem reichen Mr. Madison, der alt genug war, um ihr Vater sein zu können, zu vermählen. Soweit ich weiß, lebten sie zehn Jahre trübsinnig, aber ohne unangenehme Zwischenfälle miteinander, dann kam der junge Mann, der die Frau liebte, in die Stadt zurück. Kein Mensch weiß genau, was geschehen ist - ob sie sich aus dem Haus geschlichen hat, um ihn zu sehen, oder etwas anderes. Jedenfalls war ihr Mann rasend vor Eifersucht und tötete den jungen Mann.«
»Leider habe ich so etwas sehr oft gesehen - zu oft«, sagte Michael ernst. »Eifersucht ist eine der größten Schwächen der Sterblichen.«
»Ach ja? Ich kann es kaum erwarten, das Mickey zu erzählen«, erwiderte sie spitz und rief ihm damit einen der Namen ins Gedächtnis, mit denen er Donald in den letzten Tagen bedacht hatte.
Michael grinste. »Ich nehme an, Ihr alter Mr. Madison spukt jetzt im Haus herum.«
»Irgendjemand ist dort. Nach dem Mord kam es zu einem Gerichtsverfahren, und ein Diener des Hausherrn sagte im Zeugenstand, er
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