Ein Engel fuer Emily
Belohnung auf ihn ausgesetzt, die jeder gern einheimsen würde. Aber sie konnte sich ja nicht gut weiterhin morgens von seinen Küssen wecken lassen.
Sie hatte die Stimme ihrer Mutter im Ohr: »Emily, triff ausnahmsweise einmal eine Entscheidung mit dem Kopf, nicht mit dem Herzen.« Einen umherirrenden Mann bei sich aufzunehmen war sicherlich eine Entscheidung, die sie nur mit dem Herzen getroffen hatte.
Andererseits wollte sie alles, was sie konnte, über das Madison-Haus herausfinden. Spukte es dort tatsächlich, oder bildeten sich das die Leute nur ein? Und wenn es spukte, wessen Geist fand keine Ruhe? Und was war aus dem Leichnam von Captain Madison geworden, der wegen Mordes hingerichtet worden war?
Sie drehte die Dusche ab, trat aus der Kabine und nahm ein Handtuch. Woher sollte ein vom FBI gesuchter Mann wissen, ob es Gespenster in einem Haus gab oder nicht?, dachte sie gereizt. Nur wenn sie ihm abnahm, dass er ein Engel war, konnte sie glauben ...
Sie frottierte sich das Haar und griff nach dem Fön. Michael Chamberlain war kein Engel. Er hatte lediglich hellseherische Fähigkeiten und war sehr geschickt, wenn es galt, den Leuten etwas einzureden.
Trotzdem dachte sie, als sie Lipgloss auflegte, daran, dass es gut wäre, in Begleitung und nicht allein ins Madison-Haus zu gehen. Donald hatte sie nur ausgelacht, als sie ihm einen entsprechenden Vorschlag gemacht hatte, und ihre Freundinnen hatten sich schlichtweg geweigert. Daran war sie selbst schuld, weil sie erzählt hatte, was bei ihrem ersten Besuch vorgefallen war.
Sie nahm sich vor, mit Michael zu dem Haus zu gehen und sich dann etwas auszudenken, wie sie ihn wegschicken konnte - heute Abend. Sie konnte sagen, dass sie ihre Ruhe brauchte, weil sie morgen wieder arbeiten musste, und dass er ohnehin nicht tagsüber allein in ihrer Wohnung bleiben konnte.
Sie fühlte sich besser, weil sie endlich zu einem vernünftigen Entschluss gekommen war, und ging be-schwingt ins Schlafzimmer, um eine Jeans und einen leichten Pullover aus dem Schrank zu holen. Ganz normale Sachen, dachte sie. Nur, der Pullover war bei der Wäsche eingegangen und ein kleines bisschen zu eng, und die Jeans hatte einen Riss an der Kehrseite. Vorjahren war sie an einem Nagel hängen geblieben, und seither lag die Jeans in der hintersten Ecke des Schranks. Donald mochte es nicht, wenn sie Jeans trug, und schon gar keine mit einem sieben Zentimeter langen Riss am Po. Sie war unsicher in diesem Aufzug und überlegte, ob sie nicht doch etwas anderes, was ihrem Alter mehr entsprach, anziehen sollte, als sie die Tür öffnete. Sie blieb wie angewurzelt stehen. Ihre schöne, saubere Küche sah aus, als wäre der Kühlschrank explodiert. Überall lag etwas herum, Dosen waren halb geöffnet, der Eierkarton war umgefallen, das Eigelb floss auf den Boden. Auf einer Herdplatte stand eine rauchende Pfanne mit verkohltem Inhalt. In dem Moment, in dem Emily das Chaos bemerkte, ging der Rauchalarm los.
»Es sieht so einfach aus, wenn Sie das machen», schrie Michael, der mitten in dem Durcheinander stand und sie verblüfft ansah. »Kommt jetzt die Polizei?«
Emily lief zur Besenkammer, schnappte sich einen Besen und schaltete damit den Alarm aus.
»Emily, Sie sind so hübsch, wenn Sie wütend sind«, sagte Michael, der auf dem Beifahrersitz saß.
»Das ist die älteste Anmache der Welt«, gab sie zurück. »Und Sie werden die Küche wieder sauber machen.«
»Sehr gern.« Er grinste. »Vielleicht bringen Sie mir das Kochen bei.«
»So lange werden Sie nicht mehr hier sein. Genau genommen müssen Sie heute Abend schon weg.«
»Ja, natürlich. Vielleicht nehme ich ein Flugzeug. Es ist vielleicht ganz hübsch, in einem dieser Dinger zu fliegen.«
»Wohin möchten Sie gehen?«, erkundigte sie sich, ohne vorher nachzudenken.
Er betrachtete sie mit blitzenden Augen. »Ich weiß nicht. Wohin würden Sie wollen?«
Sie öffnete den Mund, um »Paris« zu sagen, warf aber gerade noch rechtzeitig einen kurzen Blick auf ihn. » Donald und ich wollen in den Rockies campen.«
»Wirklich? Das ist interessant. Ich hätte eigentlich gedacht, Sie sind eher der Museumstyp. Ich sehe Sie in Rom, nein, warten Sie - in Paris.«
Emily enthielt sich jeden Kommentars und sah starr auf die Straße. »Da ist es«, sagte sie und deutete mit dem Kinn auf das alte Haus auf dem Hügel.
Das 1830 erbaute Gebäude war riesig und verschachtelt, und Emily dachte oft, dass die Leute nur behaupteten, es würde dort spuken,
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