Ein Engel fuer Emily
ein Ausgang ist? Ich fühle, dass dies hier kein abgeschlossener Raum sein kann.«
»Ja. Der Captain hatte einen Geheimgang, aber ich weiß nicht, ob der nach all den Jahren nicht baufällig ist. Das Haus verrottet allmählich.«
»Der Geist und Verstand dieses Mannes ist verrottet«, gab Michael verhalten zurück, als sie die Treppe zum Dachboden hinaufstiegen.
»Lieber Himmel«, sagte Emily und sah sich um. Hier oben war sie noch nie gewesen. Überall standen Truhen, alte Schränke und andere Dinge, die sie sich sehr gern genauer angeschaut hätte.
»Daran dürfen Sie nicht einmal denken«, sagte Michael und ergriff wieder ihre Hand. »Wo ist der Ausgang? Wir müssen weg von hier.«
Emily musste sich konzentrieren, aber es fiel ihr sehr schwer. An einer Wand stand eine Glasvitrine mit alten Büchern. Was waren das für Schätze? Seltene Exemplare? Von den Autoren signierte Erstausgaben? Vielleicht sogar Originalhandschriften von klassischen Romanen? Oder ... »Emily!«, rief Michael scharf. »Wo ist der Ausgang?«
Sie zwinkerte ein paar Mal, um in die Wirklichkeit zurückzufinden. »Da, glaube ich - unter den Dachtraufen. Aber der Geheimgang ist ganz bestimmt gefährlich. Vielleicht sollten wir...» Sie schielte wieder sehnsüchtig zu den Büchern hin.
»Was? Hier bleiben und aufgespießt werden?«
Sie blieb im Hintergrund, während Michael die Wand abtastete, um die Tür oder einen Riegel zu finden. »Da ist es«, sagte er und drückte die Luke einfach mit der Hand auf, weil er keine Klinke finden konnte. Als er sich nach Emily umschaute, stand sie vor der Glasvitrine, ihre Hand nach dem Schloss ausgestreckt.
Michael packte sie, schob sie zu der kleinen Öffnung und drückte sie auf die Knie. »Ich gehe voran. Falls Sie zurückgehen, um sich irgendwelche materiellen Güter anzusehen, dann werde ich dafür sorgen, dass es Ihnen Leid tut«, drohte er und verschwand in dem dunklen Loch.
»Alice im Kaninchenbau«, sagte sie, dann holte sie tief Luft und kroch Michael nach.
In ihrer Nähe waren Geräusche zu hören. Emily wusste nicht, ob das das Ächzen und Knacken des alten Hauses war, oder Dinge, über die sie lieber nicht genauer nachdenken wollte.
»Würde es Ihnen etwas ausmachen, mir zu erzählen, was hier vor sich geht? Ich dachte, Sie wären ein Freund der Geister. Können Sie nicht einfach mit diesem Mann reden?«
»Tasten Sie sich mit der Hand hier entlang«, sagte er, fasste nach ihr und führte sie. Emily sah nichts, nicht einmal Michael, der direkt vor ihr war, aber er schien Licht und Dunkelheit unterscheiden zu können. »Gut so, jetzt kommen Sie. Langsam. Ja, so ist es richtig. Wir sind bald hier draußen.«
»Würden Sie mir bitte antworten?«, drängte sie ungeduldig. Sie konnte diese Stille in der Finsternis nicht ertragen; sie wollte die Gewissheit, dass er bei ihr war.
»Der Geist in dem Haus will diesen Körper töten, damit mein Geist dorthin zurückkehrt, wohin er gehört. Ich ziehe es allerdings vor, nicht zu sterben, bis ich herausgefunden habe, weshalb ich überhaupt hierher geschickt wurde.«
»Verstehe.« Seine Erklärung jagte ihr noch mehr Angst ein, deshalb versuchte sie, ihre Furcht durch Wut zu ersetzen.
»Sie sind ein Ärgernis«, fauchte sie. »Warum haben Sie keine Angst?«
»Angst wovor?«
»Vor dem Tod. Jeder fürchtet sich vor dem Tod.«
»Geben Sie Acht hier! Die Diele ist morsch. Gut. Sie machen das sehr gut, Emily. Die Menschen haben Angst vor dem Tod, weil sie nicht wissen, was danach kommt. Ich weiß es. Und es ist was ziemlich Gutes.«
»Jemand versucht Sie umzubringen, und Sie ergehen sich in spiritueller Philosophie?«, gab sie zurück.
»Kennen Sie einen besseren Zeitpunkt als diesen für ein Gebet?« Belustigung schwang in seinem Ton mit.
»Eigentlich nicht.« Sie spürte, wie die Angst die Überhand gewann. Sie hasste diesen Dachboden, dieses Herumkriechen und ...
»Adrian, wo bist du?«, fragte Michael laut, als ob er sie von ihren Gedanken ablenken wollte.
»Wer ist Adrian?«
»Mein Boss.«
»Ich dachte, Erzengel Michael ist Ihr Boss.« Eine Spinnwebe streifte ihr Gesicht, und Emily fuchtelte hysterisch durch die Luft. Michael drehte sich zu ihr um und streifte ihr sanft das klebrige Gespinst von der Wange.
»Nein«, sagte er leise, ohne die Hand von ihrem Gesicht zu nehmen. Emily spürte, wie ihre Ängste schwanden. »Erzengel Michael steht ungefähr zweihundert Ebenen über Adrian, und ich stehe zehn Ebenen unter Adrian.«
»Oh, ich
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