Ein Engel fuer Emily
ihn zustürmen, wenn man das so ausdrücken darf. Die Versager, die er umgebracht hat, waren mir egal, aber diese Mädchen - die haben mich wirklich gestört.«
»Dann ist er also wirklich ein Killer? Das FBI schien nicht hundertprozentig sicher gewesen zu sein.«
»Klar ist er das, und sie wissen es ganz genau. Was meinen Sie, wer auf ihn geschossen hat? Ich kann Ihnen sagen, ich war entsetzt, als ich hörte, dass er noch lebt. Können wir jetzt gehen?«
Dieser abrupte Themenwechsel überrumpelte Emily regelrecht. »Gehen?«
»Ja. Gehen wir zu Mike und bringen die Sache hinter uns.«
»Hinter uns?« Emily wusste selbst, dass sie sich wie ein Papagei anhörte.
»Süße, es wird Zeit, dass Sie in die Realität zurückkehren. Wer hat ihn wohl beim ersten Mal verpfiffen, was denken Sie? Ich hatte die Nase voll von ihm und seinen Weibergeschichten, deshalb hab’ ich ein paar Leuten verraten, wo er sich aufhält, und sie waren mir sehr dankbar, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Emily wusste, dass sie ihren Mann für Geld verraten hatte, und jetzt verlangte sie, zu Michael gebracht zu werden, damit sie ihn ein zweites Mal ausliefern konnte. Ob man ihr wieder eine Belohnung dafür versprochen hatte?
Die Frau deutete Emilys Zögern falsch. »Hören Sie, vielleicht können wir uns die Belohnung teilen. Sie führen mich zu ihm, und wenn ich ihn ohne Probleme erwische, gebe ich Ihnen zwanzig Prozent.«
»Erwischen?«
»Ja, kaltmachen, ausschalten, eliminieren«, sagte sie, als wäre Emily ein Einfaltspinsel. »Sie wollen ihn doch loswerden, oder nicht?« Sie kniff die Augen zusammen und umfasste die Pistole fester. »Oder sind Sie auf ihn hereingefallen? Vielleicht glauben Sie ja wirklich, dass er ein Engel ist.«
»Nein ... ich ...« Ein Abschluss in der Bibliothekarinnenschule bereitete einen nicht auf den Umgang mit rachsüchtigen Ehefrauen vor, die noch dazu mit Waffen herumfuchtelten. Und man lernte in dieser Schule auch nicht, über Leben und Tod zu entscheiden.
»Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich?«
»Auf Ihrer«, beteuerte Emily prompt, während sie überlegte, wie sie die Wahnsinnige hinhalten konnte. Ob sie ihr ein Treffen auf neutralem Boden vorschlagen konnte? »Sie begleiten mich jetzt besser. Er ist in Ihrer Wohnung, stimmt’s?«
»Nein, ich glaube, er ist mit den Jungs unterwegs. Er mag Football und sieht sich gern die Videos von den Spielen an.«
Die Frau starre Emily an, als hätte sie eine Geistesgestörte vor sich. »Mike? Er mag Football? Und ist gern mit den Jungs zusammen?« Sie sprang auf und richtete den Pistolenlauf auf Emilys Schläfe. »Schön, ich hab’ kapiert. Sie sind eine schlichte kleine Bibliothekarin und lieben den Nervenkitzel, wenn Sie einem Killer Obdach gewähren. Wahrscheinlich ist das das einzig Aufregende, was Sie jemals erlebt haben.«
»Also, das ist ja wohl das Unverschämteste, was ich je gehört habe!«, entrüstete sich Emily und stand ebenfalls auf. »Was bilden Sie sich ein? Sie glauben doch wohl nicht, dass Sie mich und mein Leben beurteilen können, oder? Nur weil ich in einer kleinen Stadt wohne, bin ich noch lange nicht...«
»Sind die beiden Ladys vielleicht auf der Suche nach mir?«
Sie drehten sich beide um. Michael stand in der Tür, sein Haar war zerzaust, als käme er gerade aus dem Bett.
»Sie hat eine Pistole!«, schrie Emily und machte einen Satz, um die Frau anzugreifen.
Die Waffe ging los, bevor Emily etwas ausrichten konnte, und Michael stand direkt in der Schusslinie. Emily landete zu Füßen der Dunkelhaarigen auf dem Boden. Sie drehte sich um und sah, wie Michael zurücktaumelte und die Hand auf seine Schulter presste. Emily war sicher, dass er getroffen worden war, aber schon im nächsten Moment stand er wieder aufrecht und ging auf die Frau zu.
»Was ist das für eine neue Masche, Mike? Versuchst du, die Kleine zu beeindrucken? Sie ist doch gar nicht dein Typ, Menschenskind. Oder bist du jetzt auf die Naiven scharf, nachdem du alle Schlampen des Landes schon im Bett hattest?«
Michael ging ungerührt weiter und streckte die Hand aus. »Gib mir die Waffe«, sagte er leise. »Ich will nicht, dass Emily verletzt wird - oder du.«
»Ich zeig’ dir gleich, wer verletzt wird«, fauchte sie, hob die Pistole ein wenig höher und versuchte, den Abzug zu drücken. Aber Michael war schneller. Obwohl Emily die Szene vom Boden aus gebannt verfolgte, sah sie nicht, wie er sich bewegte. Vor einer Sekunde stand er noch fast an der Tür, in
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