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Ein Engel im Winter

Ein Engel im Winter

Titel: Ein Engel im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guillaume Musso
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garantiert als besitzergreifend verdammen. Doch Sebastian ignorierte das. Seine Rolle als Vater bestand darin, potenzielle Gefahren, denen sie ausgesetzt sein könnte, von seiner Tochter fernzuhalten. In diesem Fall heiligte der Zweck die Mittel.
    Da er fürchtete, Camille könne vorzeitig zurückkommen, warf er rasch einen Blick durch das Fenster, bevor er seine Recherchen fortsetzte. Er ging um das Kopfende des Bettes herum, das als Trennung zwischen Schlaf- und Ankleidezimmer diente, und öffnete die Schränke. Er inspizierte jeden Kleiderstapel, verzog missbilligend den Mund angesichts der Schneiderpuppe mit dem Bustierkleid, das er viel zu sexy für ein Mädchen ihres Alters fand.
    Er öffnete die Tür des Schuhschranks und bemerkte ein nagelneues Paar Stuart-Weitzman-High-Heels aus Lackleder! Besorgt begutachtete er die Pumps – schmerzhafte Anzeichen dafür, dass seine Tochter allzu früh flügge werden wollte.
    Als er sie wütend zurückstellte, fiel sein Blick auf eine elegante rosa-schwarze Shoppingtasche, verziert mit dem Logo einer bekannten Dessousmarke. Er öffnete sie vorsichtig und entdeckte zu seinem Entsetzen ein Ensemble, bestehend aus einem Balconnet-BH und einem Spitzenslip.
    »Das geht jetzt aber wirklich zu weit!«, schimpfte er laut und warf die Tasche in die hinterste Schrankecke. Er knallte die Schiebetür zu, fest entschlossen, seiner Tochter gehörig die Meinung zu sagen. Dann, ohne recht zu wissen, warum, trat er ins Badezimmer. Er nahm den Inhalt ihres Reisenecessaires unter die Lupe und zog eine Schachtel mit Tabletten heraus. Eine der beiden Reihen war bereits angebrochen. Er spürte, wie seine Hände zu zittern begannen. Sein Zorn verwandelte sich in Panik, je offenkundiger die Tatsachen wurden: Seine fünfzehnjährige Tochter nahm die Pille.

Kapitel 2
    »Komm, Buck, ab nach Hause!«
    Nach zwei Runden auf dem Joggingweg hing dem Golden Retriever die Zunge aus dem Maul. Er brannte darauf, ins Wasser des Reservoirsees zu springen, der sich hinter dem Zaun befand. Camille beschleunigte noch einmal den Schritt und setzte zum letzten Sprint an. Um in Form zu bleiben, kam sie dreimal die Woche her und joggte hier, im Herzen des Central Park, auf der zweieinhalb Kilometer langen Strecke rund um den See.
    Nachdem sie ihre Runde beendet hatte, atmete sie, die Hände in die Taille gestemmt, tief durch und bahnte sich dann ihren Weg zwischen den Radfahrern, Skatern und Kinderwagen hindurch zurück in Richtung Madison Avenue.
    »Hallo, keiner zu Hause?«, rief sie, als sie die Eingangstür öffnete.
    Ohne die Antwort abzuwarten, stürmte sie die Treppe zu ihrem Zimmer hinauf.
    Los, los schnell, sonst komme ich zu spät  … dachte sie und sprang unter die Dusche. Als sie fertig war, ging sie ins Ankleidezimmer, um ihre Garderobe auszuwählen.
    Der wichtigste Moment des Tages …
    Ihr Gymnasium, die St.   Jean Baptiste High School, war eine katholische Mädchenschule. Eine Eliteschule für die New Yorker Jeunesse dorée mit äußerst strengen Regeln, wie zum Beispiel der Pflicht, eine Uniform zu tragen: Faltenrock, Blazer mit aufgenähtem Wappen, weiße Bluse, Haarreif.
    Zum Glück aber waren bei aller klassischen Schmucklosigkeit einige etwas kühnere Accessoires erlaubt. Camille band sich eine Künstlerschleife um den Hals und tupfte mit dem Zeigefinger einen Hauch von himbeerfarbenem Lipgloss auf.
    Sie gab ihrem adretten Schulmädchenlook einen letzten Schliff, indem sie sich mit der It-Bag in knalligem Rosa, die sie zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, ausstaffierte.
    »Hallo, Papa!«, rief sie und nahm an der Küchentheke Platz.
    Ihr Vater antwortete nicht. Camille musterte ihn. Er wirkte elegant in seinem dunklen Anzug. Übrigens hatte sie ihm zu diesem italienischen Modell geraten: ein leicht tailliertes Sakko mit tief angesetzten Schultern, das tadellos passte. Doch jetzt stand er mit finsterer Miene und ausdruckslosem Blick vor der Fensterfront.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Camille besorgt. »Soll ich dir noch einen Kaffee machen?«
    »Nein.«
    »Na, dann nicht …«, erwiderte sie leichthin.
    Ein köstlicher Geruch von geröstetem Toast hing in der Luft. Sie schenkte sich ein Glas Orangensaft ein, faltete ihre Serviette auseinander, aus der … ihre Pillenschachtel fiel.
    »Kannst … kannst du mir das bitte erklären?« Ihre Stimme zitterte.
    »Wer hier was zu erklären hat, bist du!«, knurrte ihr Vater.
    »Du hast in meinen Sachen herumgeschnüffelt!«, rief sie

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