Ein Engel mit kleinen Fehlern
fühlte er, wo sie war. Selbst wenn er blind gewesen wäre, hätte er sie inmitten der Menschenmassen gefunden.
Sie warf einen Blick über die Schulter, und er wusste, dass sie ihn bemerkt hatte. Sie eilte weiter, kaufte sich an einem Kiosk einen Blumenstrauß und mischte sich unter die Leute, die vor einem Flugsteig warteten.
Der Anwalt hatte ihr ein Foto gegeben, und sie entdeckte ihr Opfer sofort. Sie stieß einen leisen Pfiff aus. Ihr Auftraggeber hatte ihr nicht erzählt, dass es fast zwei Meter groß und breitschultrig war.
Der Mann schlenderte ahnungslos auf sie zu. Rae winkte mit dem Strauß der älteren Frau hinter ihm zu, zog die Vorladung aus der Tasche und stellte sich ihm in den Weg. Der Bursche reagierte sofort. Bevor sie etwas sagen konnte, schlug er ihr die Vorladung aus der Hand und rannte zurück zum Flugsteig.
Aber auch Rae besaß gute Reflexe. Sie bückte sich blitzschnell und hob die Vorladung auf, dann eilte sie ihm nach.
Vor ihr tauchten zwei uniformierte Sicherheitskräfte auf.
"Polizei!" rief Gabriel hinter ihr. "Aus dem Weg!"
Die Umformen verschwanden. Rae setzte die Verfolgung fort, doch ihr Opfer war verschwunden. Dann sah sie, wie die Tür zum Männer-WC sich langsam schloss.
"Ha", murmelte sie.
Ohne Zögern betrat sie das WC. Vorn im Waschraum war ein anderer Mann, aber er eilte hinaus, als er sie sah. Rae ging an den Kabinen entlang, bis sie ein Paar großer Schuhe entdeckte.
Lächelnd reichte sie die Vorladung über die Tür.
"Das ist für Sie, Mr. Shackleford", sagte sie.
"Oh verdammt", drang es aus der Kabine, aber er nahm die Papiere.
Kurz darauf kam er heraus. "Schüchtern sind Sie nicht, was?"
"Dann hätte ich den falschen Job."
Shackleford entfaltete die Vorladung und begann zu lesen.
Sekunden später sah er Rae über den Rand hinweg an. "Was halten Sie davon, wenn ich Sie dafür bezahle, dass Sie dem Anwalt erklären, Sie hätten mich nicht gefunden? Sagen wir ...
zweitausend?"
"Nein", erwiderte sie und wurde nicht einmal böse. Dies war nicht der erste Bestechungsversuch.
Sie wusste, was als Nächstes kam. Zuerst die Wieso-machtein-so-hübsches-Mädchen-so-einen-Job-Nummer, dann Bewunderung und schließlich ein unbeholfener Flirtversuch.
Männer konnten so naiv sein.
"Ihre Ehrlichkeit imponiert mir", sagte er.
"Danke."
"Darf ich Sie zu einem Drink einladen?"
"Nein, danke."
Sie ließ ihn stehen. Im Waschraum stand Gabriel. Er folgte ihr hinaus.
"Ich habe gehört, wie er dir Geld geboten hat."
"So etwas passiert mir dauernd."
"Bekommst du oft Einladungen?" fragte er.
"Manchmal."
"Nimmst du hin und wieder an?"
Sie sah ihn an. "Das Geld?"
"Die Einladungen", knurrte er.
"Das geht die Polizei nun wirklich nichts an", erwiderte sie.
Ihre Antwort ärgerte ihn. Er wusste nicht, warum. Doch, er wusste es genau.
Er war eifersüchtig, weil ein anderer Mann sie zu einem Drink eingeladen hatte. Kindisch, aber wahr.
"Du schuldest mir ein Abendessen", sagte er.
"Wie bitte?"
"Ohne mich würdest du noch immer bei meinen Kollegen von der Flughafenwache sitzen."
Sie musterte ihn. Sein Blick war eindringlich, und seine ganze Ausstrahlung verriet, dass sich hinter seiner zivilisierten Fassade etwas Wildes, kaum zu Bändigendes verbarg.
Eine andere Frau hätte davor Angst bekommen. Aber Rae war keine andere Frau. Gabriel weckte etwas Ungezähmtes, Hemmungsloses in ihr.
Sie hatte keine Wahl, hatte vielleicht nie eine gehabt, seit sie ihn kannte. Das wurde ihr in diesem Moment bewusst.
"Ja", sagte sie leise und ahnte, dass ihre Antwort möglicherweise nicht nur dem Abendessen galt.
6. KAPITEL
Über den Tisch hinweg sah Gabriel Rae an.
"Du siehst ..." Fast hätte er zum Anbeißen gesagt. "Großartig aus."
"Du wolltest etwas anderes sagen", erwiderte Rae.
Er lehnte sich zurück. "Kannst du keine normale Unterhaltung führen?"
"Was ist eine normale Unterhaltung?"
"Nun ja, zwei Menschen sprechen über die Dinge, die sie interessieren, und hoffen, dass sie etwas finden, das sie beide interessiert."
"Oh." Sie stützte das Kinn auf eine Hand. "Wir interessieren uns beide für Peter Smithfield. Lass uns über ihn sprechen."
"Nein." Gabriel winkte den Kellner herbei. "Noch eine Flasche Chardonnay, bitte."
"Willst du mich mit Alkohol benommen machen?"
"Ms. Boudreau, ich kann mir keine Situation vorstellen, in der ich Sie benommen machen könnte."
Ich schon, dachte Rae und erinnerte sich an den Kuss. Als seine Lippen ihre berührten, hatte ihr Verstand sich
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