Ein Erzfeind zum Verlieben
da, Kobold?«
»Was?« Das Wort kam zu laut heraus, aber, gütiger Gott, wie konnte er das denn wissen? Hatte er sie gesehen? Mirabelle schaute zurück zum Laden der Schneiderin. Nein, in den Fenstern spiegelte sich das nachmittägliche Sonnenlicht, man konnte nur hineinsehen, wenn man unmittelbar davorstand, und irgendjemand hätte es doch gewiss erwähnt, wenn der Graf von Thurston sich die Nase an der Scheibe platt gedrückt hätte.
Sie räusperte sich nervös. »Ich habe nicht die geringste Ahnung, wovon du redest, Whit.«
Diesmal sprach sie zu leise. Verflixt, sie machte es sich nur noch schwerer.
»Du machst es dir nur noch schwerer«, sagte er und lächelte über ihre finstere Miene. »Du bist so nervös, dass man meinen könnte, du würdest gleich weglaufen.«
Die Idee hatte etwas für sich. Ihr ganzer Körper war angespannt und bereit zur Flucht. Bewusst entspannte sie sich. Aber nicht zu sehr. Sie hielt sich gern alle Möglichkeiten offen.
»Ich bin ein wenig erhitzt«, meinte sie schwach. Das erklärte zwar keineswegs ihre Anspannung, aber es war noch das Beste, was sie unter diesen Umständen zuwege brachte.
Ihr Bestes genügte Whit offenbar nicht, denn er ignorierte ihre letzte Bemerkung vollkommen. »Erfindest du Ausreden für die anderen Damen?«
Sie blinzelte, als er nicht auf ihre Äußerung einging. »Äh … nein«, stotterte sie, aufrichtig verwirrt. »Ich habe es dir gesagt, sie sind beim Buchhändler. Kate wollte sehen, ob ein bestimmtes Buch von Wollstonecraft vorrätig ist.«
Whit schnaubte und beugte sich zur Seite, um an ihr vorbei die Straße hinunterzuspähen. Sie hörte, wie er etwas von »Schund« und »ein Machtwort sprechen« murmelte und nutzte die Gelegenheit, das Thema zu wechseln.
»Sie sind ziemlich grässlich, das ist wahr, aber ich finde nichts dabei, wenn Kate sie liest.«
»Ihr wird davon noch das Gehirn verfaulen.«
»Oh, das bezweifele ich. Selbst wenn das möglich wäre, was ich keine Minute lang glaube, so hätten die Folgen sich inzwischen bemerkbar gemacht. Sie liest solche Bücher doch schon seit Jahren.«
»Vielleicht haben wir den Schaden, den sie angerichtet haben, noch nicht bemerkt.«
»Als da wäre …«
Whit zuckte die Achseln. »Sie ist einundzwanzig«, erwiderte er abwesend. »Sie sollte bereits verheiratet sein.« Er machte Anstalten, um sie herumzugehen.
Nun, das ging zu weit, entschied sie. Sie trat ihm in den Weg.
»Du kannst doch nicht so töricht sein, diese Bücher für die Ehelosigkeit deiner Schwester verantwortlich zu machen.«
Er starrte sie kurz an, und sein Blick bohrte sich in den ihren. »Eigentlich habe ich eine gänzlich andere Theorie, wer oder was dafür verantwortlich ist.«
Das tat ziemlich weh. Nach so vielen Jahren gegenseitiger Beleidigungen hätte das nicht so sein sollen, aber so war es. Die Heftigkeit ihrer Gefühle und die Erkenntnis, dass seine unfreundlichen Bemerkungen sie heute stärker getroffen hatten als je zuvor, überraschte sie ein wenig. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, doch dann erzürnte sie zu ihrer gewaltigen Erleichterung der Gedanke, dass dieser kaltherzige Mensch sie so vollkommen aus der Fassung gebracht hatte. Dass er sie verdächtigte, dem Glück seiner Schwester im Wege zu stehen, war unvorstellbar, unerträglich und einfach … unglaublich dumm.
»Wenn du wirklich bezweifelst, dass mir das Glück deiner Schwester überaus am Herzen liegt, dann bist du ein größerer Narr, als ich es mir je hätte vorstellen können. Und wenn du außerdem denkst, deine Schwester hätte nicht den Mut, mich und meine Sorge um sie zum Teufel zu schicken, wenn es ihr beliebt, dann bist du ein treuloser Bruder und obendrein ein Narr. Überdies …«
Im Handumdrehen hatte er ihr die Schachtel abgenommen.
Eben hatte sie noch ihre Tirade ausgekostet und sie mit spitzen kleinen Fingerstichen auf seine Brust unterstrichen, und jetzt stand er schon mehrere Schritte entfernt, hielt ihre Schachtel in der Hand, rieb sich abwesend die Brust und grinste wie der Narr, als den sie ihn gerade beschimpft hatte.
»Gott, es ist so ein Spaß, dich zu ärgern«, lachte er. »Und es ist so erfreulich einfach. Du glaubst aber auch fast alles, was?«
Ganz kurz durchzuckte Mirabelle Erleichterung darüber, dass er seine frühere Anschuldigung nicht ernst gemeint hatte, aber diese Empfindung wurde fast sofort von Entrüstung darüber verdrängt, dass er sie als leichtgläubig bezeichnet hatte, und diese wiederum von dem Grauen, das
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