Ein Erzfeind zum Verlieben
Lustbarkeiten auf Peinlichkeiten zu beschränken und auf Unverzeihliches für diesmal zu verzichten.
Die Vorstellung, dass sie sich vielleicht gut benehmen würden, war beinahe lachhaft. Beinahe.
Sie wusste, dass ihr Stolz ungeheuer leiden würde. Damit konnte sie leben; oder zumindest konnte sie lernen, damit zu leben.
Solange sie nur nicht aus Haldon Hall verbannt wurde.
Sie presste ihre zitternde Hand an die bebenden Lippen und wünschte sich wie schon seit Jahren, sie hätte ihren Eltern so viel bedeutet, um sie in die Obhut von jemandem wie den Coles zu geben.
Sie war sieben Jahre alt gewesen, als ihre Eltern während einer Grippeepidemie gestorben waren. Zu Lebzeiten waren sie ihrer einzigen Tochter gegenüber gleichgültig gewesen und hatten sich dafür entschieden, sie von einer Reihe von Dienstboten großziehen zu lassen, wie es in der feinen Gesellschaft üblich war.
Im Tode hatte sich diese Gleichgültigkeit als grausam erwiesen. Nach dem Willen ihrer Eltern war Mirabelle unter die Vormundschaft eines Onkels gekommen, den sie kaum gekannt hatten. Aber der Mann war ein Baron, und anscheinend hatte dieser Titel nach Meinung ihrer Eltern als Leumundszeugnis ausgereicht.
Nach der Ankunft bei ihrem Onkel war sie rasch in ein abgelegenes Zimmer im hinteren Teil des Hauses abgeschoben worden, hatte eine desinteressierte Gouvernante zugewiesen bekommen und war ansonsten von dem Baron und ebenso von seinem Personal ignoriert worden.
Nach zwei Monaten dieser Behandlung hatte Mirabelle sich überwunden, ihren Onkel aufzusuchen, und ein Zimmer mit einem richtig funktionierenden Kamin gefordert, regelmäßige Mahlzeiten und, wenn es nicht zu viel verlangt war, eine Matratze, deren Inneres sich im Innern befand. Sie war schließlich die Tochter eines Gentlemans und Mitglied der Familie des Barons.
Ihr Onkel hatte mit einer Ohrfeige reagiert, eine Tat, die Mirabelle so schockiert hatte, dass sie starr und stumm dagestanden hatte. Für einen Moment hatte sie sich gefühlt, als hätte sich ihr Kopf auf seltsame Weise von ihrem Körper gelöst, und sie hatte sich benommen gefragt, ob sie nun wohl den Rest ihres Lebens auf dem Fußboden im Studierzimmer ihres Onkels verbringen musste. Dem hatte er schnell ein Ende gemacht, indem er um den Schreibtisch herumgekommen war, sie am Arm gepackt und zur Tür des Studierzimmers hinausgeschleift hatte. Erst als es den Anschein hatte, als würde er ihr folgen, war Mirabelle wieder zur Besinnung gekommen und war gerannt – durch den Flur, aus dem Haus und in den Wald auf der Ostseite des Besitzes.
Sie war gelaufen, bis sie ihre Beine nicht mehr spürte. Bis sie glaubte, Herz und Lunge würden ihr bersten. Bis sie um eine Biegung kam, das Gleichgewicht verlor und einen Hang hinunterstürzte in die Arme einer reizenden Dame, die ein frisches, weißes Kleid trug, das nach Stärke und Pfefferminze roch.
Die Frau hatte Mirabelle in den Armen gehalten, bis die Tränen versiegt waren. Sie hatte sie auf ernste Verletzungen untersucht und sie sanft getadelt, weil sie wie ein wildes Tier durch die Gegend gerannt und einen Hügel hinabgerollt war. Jetzt würde sie ein blaues Auge davon haben, dummes Kind.
Dann hatte sie sich als Mrs Brinkly vorgestellt, die Gouvernante der jungen Lady Kate – einer kleinen blonden Elfe von einem Mädchen, die vorgetreten war und Mirabelle scheu die Überreste eines klebrigen Brötchens angeboten hatte – inzwischen mehr klebrig als Brötchen –, das sie in ihrer kleinen Hand barg. Mirabelle hatte die Leckerei dankbar angenommen, ebenso wie das stumme Freundschaftsangebot, das damit einherging.
So war sie mit der Familie Cole bekannt geworden. Eine gütige Wendung des Schicksals, die alles verändert hatte.
Haldon Hall befand sich keine zwei Meilen vom Haus ihres Onkels entfernt. Als sie hörte, ihr Nachbar sei zum Vormund eines verwaisten Kindes gemacht worden, hatte Lady Thurston wegen der Absurdität, dass der trunksüchtige Baron ein kleines Mädchen großziehen sollte, angewidert geseufzt und sofort dafür gesorgt, dass Mirabelle eine Einladung nach Haldon Hall erhielt. Bei ihrem Aufenthalt bekam Mirabelle anständiges Essen, Kleidung und Unterricht. Die Gräfin bestand sogar darauf, dass Mirabelle die Familie anlässlich eines Debüts und auch während der folgenden Saisons nach London begleitete.
Sie hatte den Großteil ihrer Kindheit bei den Coles verbracht, und Mirabelle schienen Haldon Hall und seine Bewohner einem Märchen entstiegen
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