Ein Erzfeind zum Verlieben
eine ganze Menge damit zu tun. Wieso willst du mir nicht sagen, warum du weinst?«
»Ich habe es dir doch gerade gesagt.«
»Nein, nicht alles.«
Sie schloss die Augen und seufzte. »Wir sind wieder am Ausgangspunkt.«
»Wenn du mit mir reden würdest, wäre das anders.«
»Redest du denn mit mir?«, fragte sie mit leisem Vorwurf in der Stimme. »Wirst du mir denn verraten, woher William davon wusste oder warum du Erfahrung mit Fälschungen hast oder warum …?«
»Nein.« Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Verdammt, ich will nicht, dass du in all das hineingezogen wirst.«
»Genauso wenig möchte ich, dass du etwas damit zu tun hast.«
»Das ist etwas vollkommen anderes«, blaffte er.
»Nein, ist es nicht.« Sie schüttelte den Kopf und schob sich an ihm vorbei zur Tür. Mit der Hand auf der Klinke blieb sie stehen.
»Ich möchte nicht, dass du dorthin fährst«, wiederholte sie leise. »Du bist nicht willkommen.«
Die Worte verletzten ihn tiefer, als er es erwartet hätte oder zugegeben hätte, und aus alter Gewohnheit schlug er zurück.
»Nicht willkommen zu sein hat dich ja noch nie abgehalten. Betrachte es als meine Rache.«
Sogleich bedauerte er seine Worte und suchte nach einer Entschuldigung, doch sie nickte und ging.
17
Es gibt alle möglichen Arten der Peinlichkeit – Demütigung, Kränkung, Scham –, und als Mirabelle zu ihrem Onkel fuhr, kam ihr der Gedanke, dass es ihr wohl bestimmt war, jede einzelne davon binnen eines Monats zu durchleben. Zuerst der Sturz vom Hügel, dann die Peinigung durch einen Dreizehnjährigen, das Weinen in Gegenwart von Whit und jetzt das Schlimmste, der Besuch bei ihrem Onkel.
Lieber würde sie von einem Dutzend Hügel fallen und unten von einer ganzen Horde kindischer Ungeheuer überfallen werden, als ein Mitglied der Familie Cole sehen zu lassen, wie ihr Onkel lebte – und wie sie lebte, wenn sie sich gezwungenermaßen unter seinem Dach aufhielt.
Es hatte immer schon Gerüchte über das Verhalten ihres Onkels gegeben – Getuschel über die mürrische Natur des einsiedlerischen Barons und seine Liebe zum Alkohol –, aber bei Adligen wurde Exzentrizität geduldet, und seine zurückgezogene Lebensweise verhinderte, dass das volle Ausmaß seiner Sünden öffentlich bekannt wurde. Sein Ruf – und damit auch ihrer – blieb im Wesentlichen unversehrt.
Was würde Whit tun, wenn er die Wahrheit erfuhr – dass ihr einziger lebender Verwandter ein liederlicher Gauner war? Kein Fälscher, wohlgemerkt. Diese absurde Angelegenheit ließ sich gewiss aufklären. Die übrigen Vergehen ihres Onkels jedoch waren nicht zu leugnen.
Sie erinnerte sich daran, wie er einmal für den Besuch mehrerer Dirnen aus London bezahlt hatte. Und an das denkwürdige Dinner, bei dem Mr Latimer dem Baron im Scherz zwanzig Pfund für sie geboten hatte. Mr Hartsinger, der Aufseher des nahen Irrenhauses St. Brigit hatte das Gebot dann weniger scherzhaft auf dreißig Pfund erhöht.
In den Augen vieler Menschen würden beide Vorkommnisse ausreichen, um Mirabelle zu ruinieren.
Wenn Whit es herausfand … bei diesem Gedanken blieb ihr das Herz stehen.
Whit hatte so viel dafür getan, das gute Ansehen seiner Familie in der Gesellschaft wiederherzustellen, und eine Verbindung mit einem Mann wie ihrem Onkel oder einer ruinierten Frau konnte einen großen Teil seines Fortschritts zunichtemachen. Würden er und der Rest der Familie Cole sich von ihr abwenden?
Es mochte ungerecht sein, dass ein Mensch aufgrund der Taten seiner Verwandten beurteilt wurde, aber so war es nun einmal in der gehobenen Gesellschaft. Whit wusste das nur allzu gut. Es waren schließlich die Taten seiner eigenen Verwandten gewesen, die den Namen Cole ursprünglich beschädigt hatten.
Und jetzt würde er es sehen. Er würde es erfahren. Er würde sie verurteilen.
Und es gab nichts, überhaupt nichts, was sie dagegen tun konnte.
Sie hatte die ganze Nacht damit verbracht, panisch nach einem Ausweg zu suchen, aber ihr war nichts eingefallen, außer mit den Zigeunern davonzulaufen – oder die Zigeuner zu bestechen, damit sie mit Whit davonliefen. Das Beste, was sie tun konnte, war vor ihm anzukommen und zu versuchen, zumindest einen kleinen Teil des Hauses bewohnbar zu machen. Mit ein wenig Glück würde Whit zu beschäftigt sein, um sich allzu sehr um den Zustand des alten Herrenhauses zu bekümmern. Mit einer guten Portion Glück würde Whits Anwesenheit ihren Onkel und seine Gäste dazu veranlassen, ihre lauten
Weitere Kostenlose Bücher