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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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schon riechen«, sagte er zu seinen Leuten. In der Turnhalle roch es in Wahrheit nach Schweißfüßen und Medizinbällen, aber das hielt er für ein gutes Omen. Gut und gerne 300 Besucher würden in die Halle passen, die Stühle vorne mit eingerechnet, bei 50 Pfennig Eintritt beziehungsweise einer Mark würde da schon was hängen bleiben. Joschi engagierte zwei vielversprechende Amateurboxer, der eine kam aus Wietzendorf und der andere aus Gifhorn, und dass sie über ein paar Ecken miteinander verwandt waren, stellte sich erst hinterher heraus, als es zu spät war. Joschi ließ Handzettel drucken und überredete einen befreundeten Kneipenwirt, vor Ort einen Karren mit Erfrischungsgetränken einzusetzen.
    Zum Boxkampf Wedemeyer gegen Frieling erschienen 36 Gäste, von denen etwa die Hälfte wegen ihrer guten Kontakte zum Veranstalter im Besitz einer Freikarte war. Angesichts der wenigen Besucher weigerte sich der Amateurboxer aus Gifhorn, auch nur die Faust zu erheben, geschweige denn die Handschuhe anzulegen, also musste der Kollege aus Wietzendorf mitziehen, obwohl er seinem Gegner auch ganz ohne Publikum gern eins aufs die Mütze gegeben hätte. Das lag aber daran, dass die Wietzendorfer und die Gifhorner seit Generationen miteinander verfeindet waren, und eine Verwandtschaft machte das Ganze noch schlimmer. Das bisschen Publikum johlte und verlangte sein Geld zurück, vor allem die mit den Freikarten, und Joschi hatte alle Hände voll damit zu tun, die aufgebrachten Leute zu beschwichtigen, und kam erst gegen sieben Uhr morgens nach Hause zurück, als die Sonne längst aufgegangen war. Da wartete schon Louise am Wohnzimmerfenster und machte ein Foto von ihrem heimkehrenden Helden, noch ohne zu wissen, ob da ein Sieger oder ein Verlierer auf der Straße stand, und ohne zu ahnen, dass nur wenige Monate später ein weiterer Heimkehrer an ihre Tür klopfen würde. Aber ihr Foto wurde berühmt in unserer Familie: Joschi, wie er mit hoch erhobenen Armen einen Schatten aufs Kopfsteinpflaster wirft, der ihn um Längen übertrifft.
    Später erzählte Joschi diese Geschichte am liebsten, indem er bei ihrem Ende begann: dass er im Falle eines Feuers in der vollbesetzten Turnhalle auf vorbildliche Weise und ohne Blutvergießen imstande gewesen wäre, die Evakuierung von 300 Menschen zu organisieren, die sich überdies noch köstlich dabei amüsiert hätten. Leider ließ sich mit solchen Talenten weder damals noch heute Geld machen. Menschen, die Hallen zwar erfolgreich leeren, aber nicht füllen können, haben als Veranstalter keine Zukunft, von goldenen Nasen ganz zu schweigen, und mit dieser Erkenntnis endete Joschis Karriere in der Veranstaltungsbranche ebenso schnell, wie sie begonnen hatte.
    Meine Mutter musste genau diese Geschichte im Sinn gehabt haben, als sie Gabor nach einer kurzen Pause fragte: »Hast du dich etwa auch als Eventmanager versucht?«
    Gabor sah einen Moment lang verwirrt aus, aber dann begriff er, worauf sie anspielte.
    »Großer Gott, nein«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Zocken und Geschäftemachen haben mich nie gereizt. Man kann Geld auch einfach nur ausgeben. Irgendwann ist man es los.« Er schien zu überlegen, ob er seine finanzielle Situation noch näher beschreiben wollte. »Aber das Haus habe ich noch«, sagte er dann. »Ein Teil davon ist vermietet, und ich wohne unten im Souterrain.«
    Meine Mutter und Hannah zeigten ungewohntes Taktgefühl und hakten nicht weiter nach, wofür ich sehr dankbar war. Dass sich Gabor auf die eine oder andere Weise von einem geldgeilen Stinker in einen Mathelehrer verwandelt hatte, konnte man ihm ohnehin deutlich ansehen. Und ich musste dringend noch eine andere Sache klären.
    »Was war das eben für eine Geschichte aus dem Kibbuz? Hast du wirklich mal Hora getanzt?« Ich wusste, dass Hora etwas mit israelischer Folklore zu tun hatte, aber mir Hannah bei einem Kreistanz vorzustellen überstieg selbst meine Phantasie.
    »Mit wehenden Röcken, meine Liebe«, sagte Hannah. »Ich war damals für ein paar Wochen in einem Kibbuz in En Gedi, 1982 war das. En Gedi ist eine Oase am Toten Meer. Überall drum herum ist Wüste, aber hellhäutige Prinzessinnen wie wir kriegen dort keinen Sonnenbrand, weil es der tiefste Punkt auf der Erde ist.«
    »Es muss auch sonst ein ziemlicher Tiefpunkt gewesen sein«, sagte meine Mutter.
    »Und ich war in Yoram verliebt«, fuhr Hannah unbeirrt fort. »Yoram war der Leiter der kibbuzeigenen Hora-Tanzgruppe. Sein Cousin Avi

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