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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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weggekommen war. Die Bettseite meiner Mutter war verlassen und leer, aber damit hatte ich gerechnet. Meine Mutter schläft nicht. Meine Mutter badet oder zeichnet einen Auftrag fertig oder liest oder hört Musik, aber sie schläft nicht, und falls doch, tut sie es heimlich. Ich habe ein paar Erinnerungen daran, wie ich sonntagmorgens zu meinen Eltern ins Bett krieche und meine Mutter noch schläft oder zumindest so tut, aber später, als ich größer wurde, war sie immer schon auf, wie beim Hasen und beim Igel, nur dass sie sagte »Ich bin schon wach«, manchmal auch: »Ich bin noch wach.« Ich ging ins Bad, aber die Wanne war trocken und leer, dann musste sie wohl unterwegs sein. Draußen war trübes Herbstwetter, aber es regnete nicht. Es war kurz vor acht, und ich wusste, dass unser Familienausflug nicht vor elf Uhr beginnen würde, also beschloss ich, dass dies ein guter Moment zum Meditieren war.
    Meditieren kann man überall, sagt Jan, an der Bushaltestelle, vor der Kasse im Supermarkt und sogar auf dem Klo, aber dafür müsse man schon ein wenig Praxis haben. Er hat sie. Ich habe sie nicht. Als ich vor ein paar Monaten erfuhr, dass Jan Buddhist ist, fand ich Buddhismus natürlich toll, aber nur, weil ich Jan toll fand und ihm gefallen wollte. Es funktionierte bloß nicht. Jan lachte, als ich ihn mit ein paar Buddha-Zitaten beeindrucken wollte, und sagte, ich solle mich einfach mal hinsetzen und die Klappe halten und schauen, ob das überhaupt was für mich wäre. Also hielt ich die Klappe und setzte mich, aber ich wurde nicht ruhig und gelassen, sondern beinahe wahnsinnig vor lauter idiotischen Gedanken, die ich nicht mehr überhören konnte, weil es auf einmal so ruhig war. Als ich das Jan erzählte, lachte er noch mehr und fragte mich, ob ich Lust hätte, seinen Meditationslehrer kennenzulernen. Selbstverständlich hatte ich Lust. Jans Meditationslehrer war ein sehr kleiner Mann aus Thailand mit dem freundlichsten Gesicht, das ich je gesehen habe. Ich verstand kein Wort von dem, was er sagte, aber als ich neben ihm saß, wurde es zum ersten Mal richtig still in mir, nicht nur um mich herum. Vielleicht hätte ich es auch in einer Badewanne finden können, wenn da bloß nicht diese Heizspiralen wären. Meditation heißt so viel wie »sich zur Mitte ausrichten«, aber Jan sagt, der tibetische Begriff dafür bedeute, sich an etwas zu gewöhnen. Das gefiel mir besser als Bushaltestelle oder Supermarktkasse, und seitdem versuche ich, aus der Meditation eine Gewohnheit zu machen. Ich zünde eine Kerze an und lege kleine Steine dazu für die Menschen, die ich bei mir haben will. Ich habe einen Papastein und einen Mamastein, einen für Gäste und neuerdings auch einen ganz kleinen für Paul, aber wenn es sein muss, können meine Steine auch für andere Personen einspringen. Weil ich befürchtete, dass die Idee mit den Steinen unbuddhistisch sein könnte, fragte ich Jan danach, aber er sagte mir, es gebe eigentlich nichts, was man im Buddhismus falsch machen könne, solange man sich einigermaßen an die fünf Silas hielte, die Übungen zum rechten Verhalten: kein Lebewesen zu töten oder zu verletzen, nichts zu nehmen, was einem nicht gegeben wird, durch sein sexuelles Verhalten niemandem zu schaden, nicht zu lügen und auf seine Worte zu achten und sich von allem abzuwenden, was einen berauscht oder benebelt. Er kenne aber auch ein paar Buddhisten, die gerne mal ein Schnitzel äßen, sagte Jan, als er mein Gesicht sah, aber in Wirklichkeit hatte mich das mit dem sexuellen Verhalten erschreckt. Zuhause setzte ich mich gleich an den Computer und googelte die fünf Silas und war einigermaßen erleichtert, als ich herausfand, dass heimlich in Jan verliebt zu sein in Ordnung war, solange ich ihn nicht sexuell belästigte.
    Ich setzte mich mit gekreuzten Beinen auf den Boden, nachdem ich ein Teelicht angezündet und den ersten meiner vier Steine für Joschi hingelegt hatte. Ich schloss die Augen, aber irgendwas stimmte noch nicht, also öffnete ich sie wieder und nahm den nächsten Stein für meine Großmutter Lotte und legte ihn neben Joschi. Meine Großeltern, dachte ich, aber irgendwie war es das noch nicht, und ich holte mir noch einen Stein und legte ihn ein bisschen weiter hinten hin: Das war mein Opa Karl. Dann musste ich an Louise und an Hannahs Mutter Frieda denken, aber jetzt gingen mir allmählich die Steine aus. Einen hatte ich noch, den bekam Louise. Neben dem Fenster stand eine merkwürdige Grünpflanze auf

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