Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)
hatte gerade beim Grand Prix Eurovision de la Chanson den zweiten Platz für Israel gemacht. Gleich hinter ›Ein bisschen Frieden‹.«
Meine Mutter sah aus, als müsse sie sich gleich übergeben.
»Und?« Wenn es um Liebesgeschichten geht, nehme ich auch schlechte Musik in Kauf.
»Nichts und.« Hannah seufzte. »Yoram war zwar verrückt nach mir, aber er konnte nicht nein sagen. Am Ende machte eine norwegische Blondine das Rennen. Dabei tanzte sie viel schlechter als ich.«
»Aber sie hieß nicht Nicole, oder?«, fragte meine Mutter.
»Sie hieß Ramborg. Ich fand das sehr passend.« Hannah zwinkerte mir zu. »Ich zeig dir die Fotos, wenn du mich das nächste Mal besuchst.«
»Meine Güte, du hast aber auch nichts ausgelassen, was?«, sagte Gabor erschüttert.
»Wie darf ich das verstehen?«, gab Hannah zurück.
»Ich meine … Interessierst du dich eigentlich noch für andere Dinge außer fürs Judentum?«
»An was dachtest du denn?« Hannah beugte sich über den Tisch und ergriff ihr Glas. »Rotwein? Gutes Essen? Musik? Literatur? Filme? Sex?«
»Entschuldigung«, sagte Gabor verlegen. »Ich wollte dir nicht zu nahetreten.«
Ich hielt nach Peggy Ausschau. Ich konnte sie nirgendwo entdecken. Auch der Mann am Fenster und sein Bier waren fort. Wahrscheinlich hätten sie schon längst Feierabend gemacht, wenn wir hier nicht immer noch rumsitzen würden. Wahrscheinlich hockte Peggy in der Küche neben der Mikrowelle und hasste uns. Es war erst kurz nach zehn.
»Ich fände es eigentlich gar nicht schlecht, wenn wir uns mal ein bisschen nähertreten würden«, sagte meine Mutter.
»Aber nicht hier«, sagte Hannah. »Es sei denn, du möchtest dieses Ding ein drittes Mal aufwärmen lassen, Gabor.«
»Nein, danke«, erwiderte Gabor, nachdem er die Pizza stirnrunzelnd ein letztes Mal von allen Seiten betrachtet hatte. Genauso, stellte ich mir vor, würde er auch einen seiner Laborkandidaten anschauen, der vorzeitig aus dem Rennen ausgeschieden war.
»Wie bist du überhaupt auf die Idee gekommen, Spielzeugtester zu werden?« Wenn es schon niemanden außer mir zu interessieren schien, musste ich mich wohl selber um eine Antwort kümmern.
»Ach, das ist keine große Sache«, sagte Gabor. »Eigentlich bin ich eher zufällig da reingeraten. Anfangs war ich nur so ’ne Art Hilfsassistent und habe alles für die Tests aufgebaut. Und hinterher wieder abgebaut und aufgeräumt. Inzwischen leite ich die Versuchsreihen selber. Wir testen vor allem Spielzeug aus China.«
Ich muss sagen, ich war ein bisschen enttäuscht, weil mir in der Zwischenzeit eine großartige Erklärung für Gabors Berufswahl eingefallen war, in der ein halb totes Kleinkind und ein verschlucktes Teddyauge vorkamen, was bei ihm den brennenden Wunsch ausgelöst hatte, solche Unfälle in Zukunft zu verhindern. Gabor hingegen schien das meiste in seinem Leben auf Zufälle zurückzuführen.
»Klasse Job«, sagte meine Mutter, und Gabor sah sie wieder mit diesem Laborblick an, wohl um herausfinden, ob sie es ernst gemeint hatte. Das Ergebnis schien ihn zu beruhigen.
Peggy, der unsere Aufbruchsstimmung keineswegs entgangen war, tauchte wie aus dem Nichts auf und kassierte mit der gleichen Leidenschaftslosigkeit ab, mit der sie anfangs unsere Bestellungen aufgenommen hatte. Nicht einmal unser Trinkgeld konnte sie noch zu einem Lächeln bewegen, dafür hatte sie etwa fünf Zentimeter oberhalb des rechten Schlüsselbeins einen frischen Knutschfleck am Hals. Ich wusste, dass meine Mutter und Hannah ihn auch entdeckt hatten. Ich fragte mich, ob es da hinten irgendwo einen Koch gab, der Giuseppe hieß oder vielleicht auch nur Kevin, und ob Peggy uns weitergehasst hatte, während er ihr den Knutschfleck verpasste. Ich sagte mir, dass manche Geschichten vorübergehend verloren gehen können, weil sie nicht zu Ende gedacht oder erzählt werden, aber dass zum Glück ständig neue nachwachsen. Dann gingen wir zusammen nach draußen.
Draußen war die Luft erstaunlich mild geworden, fast wie an einem Frühlingsabend. Meine Mutter schlug vor, noch ein paar Schritte zu gehen, aber Hannah sprach sich entschieden dagegen aus und fand, dass wir uns ruhig in der Hotelbar noch ein bisschen zu nahetreten könnten. Gabor schien es egal zu sein, solange unser Aufenthalt im Freien lange genug dauerte, um eine Zigarette zu rauchen. Die Aussicht, Robbie wieder dabei zuschauen zu müssen, wie er meine Mutter und Hannah anbaggerte, begeisterte mich nicht sonderlich, aber zum
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