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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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schneller und zunehmend lauter. Gabor sah sich mit wildem Blick um. Hannah sprang zum Nachttisch und brachte den Wecker zum Schweigen.
    »Noch zehn Minuten bis Mitternacht«, rief sie. »Holt den Sekt raus, Kinder! Es ist gleich so weit.«
    »Ich hätte da noch einen Vorschlag«, sagte ich.

14
    WIR VERLIEßEN DAS HOTEL gegen halb zwei in der Nacht.
    Im Kofferraum unseres Autos befanden sich eine Flasche Sekt, mein Paket mit den zehn Himmelslaternen und Edgars Blumenstrauß. Letzterer löste mit seinem penetranten Duft bei meiner Mutter an jeder Kreuzung asthmaähnliche Anfälle aus, was Hannah mit großer Genugtuung quittierte, denn schließlich war es meine Mutter gewesen, die den Strauß mit den Worten »Edgar kommt mit!« aus ihrem Bad geholt und trotz Hannahs heftiger Proteste mitgenommen hatte. Mein Wunsch nach einer neuen Sitzordnung war – zumindest teilweise – erhört worden: Gabor, als Einziger noch fahrtüchtig, saß hinter dem Steuer, Holmes und Watson endlich wieder versöhnt und kichernd auf dem Rücksitz und ich, mit Lagerplan und Taschenlampe ausgerüstet, wie gewohnt an Gabors Seite. Aber diesmal war es mir ganz recht so.
    Es war kalt geworden und fast sternenklar. Der Mond, im Abnehmen begriffen und auf der rechten Seite schon sichtbar eingedellt, stand bleich und hoch am Himmel.
    »Gabor?« Ich fragte ihn leise, weil ich keine Lust auf eine raumübergreifende Diskussion hatte. »Ist Alfred eigentlich ein Nazi gewesen?«
    »Die Frage habe ich mir auch oft gestellt«, sagte Gabor.
    Die Gespräche auf dem Rücksitz verstummten schlagartig. Ich hätte es mir denken können.
    »Das heißt, ihr habt nie über so was geredet, oder?«, sagte ich.
    Wir hatten die Stadtgrenze von Weimar hinter uns gelassen. Bisher war uns noch kein Auto begegnet. Der Wald rückte näher. Bald würde der Obelisk auftauchen und uns nach links auf die Blutstraße schicken.
    Gabor schüttelte den Kopf. »Nein, nie. Und du kannst sicher sein, ich habe ihn provoziert ohne Ende, aber er hat nie etwas Derartiges zugegeben. Genauso wenig wie er je etwas dementiert hat.«
    »Und was glaubst du?« Der Kopf meiner Mutter erschien zwischen den Vordersitzen.
    »Ich glaube, er war kein Nazi«, sagte Gabor. »Ich könnte mir zwar vorstellen, dass er sogar Parteimitglied war, aber er war Wehrmachtsoffizier, kein SS-Mann. Ein erzkonservativer Opportunist, der sich hinterher mächtig geschämt hat, aber nicht einmal das konnte er zugeben.«
    »Ja, das denke ich auch«, sagte meine Mutter und ließ sich wieder auf den Rücksitz fallen. »Sosehr es mich auch vor ihm gegraust hat, wie ein Nazi kam er mir nicht vor. Auch nicht wie ein geläuterter Nazi.«
    »Da bin ich froh«, sagte ich.
    Von hinten näherte sich ein Auto mit hoher Geschwindigkeit und überholte uns. Kurz darauf erreichten wir die Abzweigung nach Buchenwald.
    Es hatte erstaunlich wenig Überzeugungsarbeit gebraucht, um die drei für meinen Plan zu begeistern, noch einmal zur Gedenkstätte zu fahren und eine Himmelslaterne für Joschi aufsteigen zu lassen, dem Rotwein sei Dank. Bei meiner Mutter war ich mir ohnehin sicher gewesen, dass sie genügend kriminelle Energie besaß, um ein illegales nächtliches Eindringen auf das Lagergelände zu befürworten, solange es zu Ehren Joschis war. Von Hannah waren einige praktische und durchaus berechtigte Einwände gekommen (»Da sind garantiert Wachleute unterwegs. Und Videokameras haben die bestimmt auch aufgestellt«), aber nachdem meine Mutter vorgeschlagen hatte, das Ganze einfach als sportliche Herausforderung anzusehen, zumal wir als vaterjüdische Delegation in friedlicher Mission unterwegs waren, stimmte sie zu und begann sich in die Gebrauchsanleitung für die Himmelslaternen zu vertiefen. Womit ich jedoch in meinen kühnsten Träumen nicht gerechnet hatte, waren Gabors Enthusiasmus und vor allem sein Pfadfinderwissen gewesen. Offenbar hatte er gestern Vormittag bei seinen Streifzügen durch das kleine Lager eher zufällig einen Weg durch den Wald nach draußen entdeckt, der eine Weile am Waldsaum entlang verlief und dann an einer Landstraße nördlich des Lagers endete. Wie wir mit Hilfe meines Planes feststellten, konnte es sich bei der Straße nur um die Fortsetzung der Blutstraße handeln, die am Lagergelände vorbei ins Nachbardorf führte.
    Ein Auto kam uns entgegen und blendete seine Scheinwerfer erst ab, als es fast auf gleicher Höhe mit uns war. Gabor fluchte. Ich sah den schlingernden Rücklichtern nach und fragte

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