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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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mich, ob außer uns um diese Zeit nur noch Idioten unterwegs waren. Dann dachte ich, dass die meisten Leute uns wahrscheinlich auch für Idioten halten würden.
    »Du fluchst ja auf Ungarisch«, stellte meine Mutter fest.
    »Das ist nicht ungarisch, das ist serbisch«, antwortete Gabor.
    »Aber Joschi hat genau die gleichen Wörter benutzt. Ich fand immer, dass sie blöd klangen, deshalb habe ich sie nie nachmachen wollen. Aber ich war mir sicher, dass es ungarische Flüche sind.«
    »Joschi hat auf Serbisch geflucht, weil er als jüdischer Zwangsarbeiter in Jugoslawien war«, warf Hannah dazwischen. »Kommt alles in die Beweisaufnahme. Ha!«
    »Wie ging dieser Satz eben mit Pitschka?«, fragte ich. Gabor tat, als hätte er nichts gehört.
    »Und was bedeutet Kurac?« Wieder keine Antwort.
    »Danke, dann weiß ich auch so, was es heißt«, sagte ich. »Wieso hat Joschi eigentlich nie richtig Deutsch gelernt?«
    »Passiver Widerstand!«, rief Hannah.
    »Vielleicht war er auch ganz einfach nicht sprachbegabt«, sagte meine Mutter.
    »Mir hat er aber mal erzählt, er könnte fließend Französisch«, protestierte Hannah.
    »Faîtes vos jeux, genau«, sagte meine Mutter, und dann lachten beide.
    Wir passierten die Abzweigung zum Glockenturm. Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis wir den Parkplatz der Gedenkstätte erreichten. Ich stellte fest, dass ich allmählich nervös wurde. Die Zeiten, in denen ich mich allein schon deswegen sicher gefühlt hatte, weil ich mich in Begleitung von Erwachsenen befand, schienen vorbei zu sein. Vielleicht war das hier ja das Ende meiner Kindheit. Ich fand den Zeitpunkt durchaus passend. Joschi sicher auch. Wie mein Enkeltochter auf Weg in kleine Lager erwachsen wurde , die Geschichte hätte er bestimmt gern mal erzählt.
    Die Straße machte eine scharfe Linkskurve. Irgend wo rechts von uns mussten sich die Gleise des Bahnhofs von Buchenwald befinden. Ich hatte sie bei unserem gestrigen Ausflug nur vom Auto aus gesehen. Es gab keine fünf Gleise, zwei oder drei hatten ihnen offenbar gereicht.
    »Ich fahre jetzt in ganz normalem Tempo an den Parkplätzen vorbei und dann einfach weiter geradeaus«, sagte Gabor. »Damit wir nicht schon vorher irgendwelchen Wachleuten auffallen.«
    »Du machst das ganz toll, Gabor«, sagte Hannah. »Wenn du jetzt noch schnell meine Autokennzeichen abmontieren würdest, wäre ich restlos glücklich.«
    »Das können wir doch hinterher machen, falls wir mit dem Auto flüchten müssen«, sagte meine Mutter. »Bis jetzt haben wir überhaupt noch nichts angestellt. Ich hab noch nicht mal Marihuana dabei.«
    »Schade eigentlich«, sagte Hannah. »Ich hab gerade zum ersten Mal nach all den Jahren wieder Lust darauf.«
    Wir passierten die Einfahrt zu den Parkplätzen, die von den gelben Kasernengebäuden flankiert wurden. Dann verschluckte uns wieder der Wald. Nach meinem Plan befand sich zu unserer Rechten der Teil vom Gelände, in dem die SS ihren Pferdestall und die Reithalle gebaut hatte und später sowjetische Kriegsgefangene erschoss. Noch tiefer im Wald lag dann das eigentliche Gefangenenlager mit seinen Wachttürmen und Stacheldrahtzäunen, von denen sich die meisten schon längst dem Rost ergeben hatten und keine Hindernisse mehr darstellten.
    »Bald müssten wir auf gleicher Höhe mit dem kleinen Lager sein«, sagte Gabor. »Richtig, Lily?«
    »Richtig«, sagte ich, nachdem ich einen Blick auf die Karte geworfen hatte. »Außerdem ist es jetzt nicht mehr weit bis zu der Stelle, an der wir aussteigen wollten.«
    Ein Auto kam uns entgegen. Ich musste mich beherrschen, mich nicht auf die Seite zu werfen, als das Licht der Scheinwerfer uns traf. Hinter mir hörte ich, dass meine Mutter und Hannah ähnliche Impulse hatten. Gabor lachte laut. Der Wagen fuhr an uns vorbei und verlangsamte auch seine Fahrt nicht. Ich konnte zwei Personen darin erkennen.
    »Wieso bist du eigentlich so gottverdammt cool?«, rief Hannah vom Rücksitz.
    Gabor lachte wieder. »Ich mag das«, sagte er.
    Da begann ich es auch wieder zu mögen.
    Kurz darauf endete das Waldstück auf der linken Seite. Von hier aus verlief die Landstraße schnurgerade zwischen Feldern und sanften Hügeln bis ins nächste Dorf. Gabor bremste und bog dann rechts von der Straße ab. Was ich zunächst für einen kleinen Feldweg gehalten hatte, erwies sich schon nach wenigen Metern als Sackgasse. Gabor lenkte den Wagen so weit es ging in das Unterholz. Dann stellte er den Motor ab und machte die Lichter

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