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Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition)

Titel: Ein fabelhafter Lügner: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susann Pásztor
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schrieb, dass er bereits tot wäre, wenn sie seine Zeilen läse. Dass er sie liebe und dass es ihm wahnsinnig leidtäte. Na ja, was man in so einem Brief halt so schreibt. Lotte schmiss alles hin, rannte zum Nachbarn, der ein Telefon hatte, und rief bei Louise an.«
    Ich kannte die Geschichte gut. Ich fand eigentlich, dass sie eine der seltsamsten und traurigsten Joschi-Geschichten überhaupt war, aber wenn meine Mutter und Hannah sie zusammen erzählten, wurde sie plötzlich bizarr und streckenweise sogar komisch. Dann dachte ich immer, ja, natürlich, es ist ja auch eine Geschichte von einem Überlebenden, oder?
    »Meine Mutter stand zum selben Zeitpunkt mit einem ähnlichen Brief in der Hand da«, sagte Hannah, die endlich die Weinflasche aufbekommen hatte. »Gerade vor ein paar Tagen hatte sie sich noch mit Joschi getroffen und ihm die frohe Botschaft verkündet, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Tja, und jetzt so was. Sie schmiss ebenfalls alles hin, rannte zum Nachbarn, der ein Telefon hatte, und rief bei Louise an.«
    »Wieso bei Louise? Deine Mutter kannte Louise?«
    »Sie waren nicht gerade Freundinnen, aber sie hatten Kontakt. Ich nehme mal an, Louise war damals die Einzige, die von Joschis Dreiecksgeschichte wusste.« Hannah schenkte sich und meiner Mutter Wein nach. Gabor überlegte eine Weile und hielt ihr dann sein Glas hin. Es war also doch sein Tag. Ich sagte nein danke, aber es interessierte keinen.
    »Sind wir eigentlich noch innerhalb der 85-Prozent-Wahrheitszone?«, fragte Gabor. Er sah sehr gefasst, beinahe feierlich aus, als er den ersten Schluck aus seinem Glas nahm.
    »Definitiv«, sagte meine Mutter. »Also, bei Louise klingelte ständig das Telefon, aber das überraschte sie nicht besonders, schließlich hatte sie auch einen Brief bekommen. Und Louise besaß nicht nur ein Telefon, sondern wohnte auch in derselben Stadt wie Joschi. Sie telefonierte sämtliche Krankenhäuser durch, und irgendwann hatte sie das Krankenhaus gefunden, in das Joschi nach seinem Selbstmordversuch eingeliefert worden war.«
    »Lasst mich raten«, sagte Gabor. »Er hatte beim Pokern eine Pistole gewonnen, aber ein wenig danebengeschossen.«
    Natürlich, das musste der Rotwein sein. Zum ersten Mal hörte ich etwas von Gabor, das entfernt wie der Anfang einer Geschichte klang.
    »Falsch. Schlaftabletten«, sagte meine Mutter.
    »Und natürlich zu wenige«, ergänzte Hannah. »Aber so kam es, dass sich unsere Mütter zum ersten und zum letzten Mal in ihrem Leben zu dritt begegneten. Eine Szene wie im Film: drei Frauen, zwei davon schwanger, ein gescheiterter Selbstmörder, ein Krankenhausbett. An dieser Stelle sind leider die 85 Prozent Wahrheit aufgebraucht. Nur die Resultate aus dieser Begegnung sind uns bekannt. Meine Mutter, die bis zu ihrem Tod steif und fest behauptete, sie habe nicht gewusst, dass Joschi seit zwei Jahren verheiratet war, brach den Kontakt zu ihm vollständig ab.«
    »Und Lotte und Joschi arrangierten sich irgendwie mit der Situation, aber ihre Ehe war am Ende, noch bevor sie richtig begonnen hatte«, sagte meine Mutter.
    »Mein Gott, was für eine Geschichte«, sagte Gabor. »Was ist mit den restlichen fünfzehn Prozent?«
    »Die sind für die Spekulationen über den Ablauf des Treffens«, sagte Hannah. »Sie stehen zu unserer freien Verfügung.«
    »Für so etwas reicht meine Phantasie leider nicht aus«, sagte Gabor bedauernd.
    »Hey, warum stellen wir das Ganze nicht einfach nach?«, rief meine Mutter und sprang so ungestüm auf, dass ihr Weinglas fast umkippte. »Wir sind doch die Idealbesetzung für so was. Los, Lily, du legst dich jetzt aufs Bett und bist Joschi.«
    »Ich will nicht Joschi sein«, sagte ich empört.
    »Dann ist Gabor Joschi. Das ist sogar noch viel besser.« Wenn meine Mutter so drauf war, konnte nichts und niemand sie aufhalten. »Lily ist Louise, Hannah ist Frieda und ich bin Lotte. Los, Gabor, rauf aufs Bett. Es könnte sein, dass dir ein wenig schlecht ist, dir wurde nämlich gerade der Magen ausgepumpt. Wir schreiben das Jahr 1959, und du hast dich in eine ziemlich üble Situation reingeritten.«
    Ich werde niemals im Leben aufhören, mich zu wundern, dass Gabor tatsächlich mitmachte. Vielleicht dachte er ja, er schulde seiner Familie wegen der verweigerten Speichelprobe noch einen Gefallen. Vielleicht war es auch der Wein, der irgendwas mit seinem Y-Chromosom machte. Jedenfalls stand er auf, legte sich rücklings aufs Bett und fragte: »Und, was weiter?«
    »Och

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