Ein Fall für Kay Scarpetta
putzen. "Etwas Scharfes wurde verwendet, um ihr Nachthemd durchzuschneiden, aber ich kann Ihnen nicht sagen, ob es dasselbe Werkzeug war, mit dem das Gitter durchschnitten wurde. Ich kann das Werkzeug nicht einmal näher einordnen, Kay. Es könnte ein Stilett, ein Säbel oder eine Schere gewesen sein." Die elektrischen Kabel und das Überlebensmesser konnten uns mehr sagen.
Nach dem mikroskopischen Vergleich hatte Frank guten Grund anzunehmen, daß die Kabel mit Matt Petersens Messer durchschnitten worden waren. Die Werkzeugspuren auf der Messerklinge entsprachen denen, die an den abgetrennten Enden der Kabel hinterlassen wurden. Marino, dachte ich mürrisch. Dieses kleine Detail würde nicht allzuviel bedeuten, wenn das Überlebensmesser in der Nähe des Bettes und offen dagelegen hätte und nicht in Matt Petersens Kommode versteckt gewesen wäre.
Ich hatte immer noch meine eigene Vorstellung von dem Tathergang. Der Mörder sah das Messer auf Loris Tisch und beschloß, es zu benutzen. Aber warum hat er es danach versteckt? Außerdem, wenn das Messer benutzt worden war, um Loris Nachthemd aufzuschneiden, und wenn es auch benutzt worden war, um die elektrischen Kabel zu durchtrennen, dann mußte die Reihenfolge der Ereignisse anders gewesen sein, als ich sie mir vorgestellt hatte.
Ich hatte angenommen, daß der Mörder, als er in Loris Schlafzimmer kam, sein eigenes Schneidinstrument in der Hand hatte, ein Messer oder ein scharfes Werkzeug, das er verwendete, um das Fenstergitter zu durchtrennen. Wenn es so war, warum schnitt er dann ihr Nachthemd und die elektrischen Kabel nicht damit durch? Wieso benutzte er das Überlebensmesser? Entdeckte er es sofort auf dem Schreibtisch, als er in ihr Schlafzimmer trat? Das war unmöglich. Der Tisch stand in der Nähe des Bettes, und als er hereingekommen war, war das Schlafzimmer dunkel gewesen. Er konnte das Messer nicht gesehen haben.
Er konnte es nicht gesehen haben, bevor die Lichter angingen, und bis dahin mußte Lori bereits überwältigt worden sein, das Messer des Mörders an ihrem Hals. Warum sollte das Überlebensmesser auf dem Tisch irgendeine Wirkung auf ihn haben? Es ergab keinen Sinn.
Es sei denn, irgend etwas hatte ihn gestört. Es sei denn, irgend etwas war geschehen, was ihn bei seinem Ritual störte und irritierte, es sei denn, es war etwas Unerwartetes geschehen, was ihn veranlaßte, den Ablauf zu ändern. Frank und ich spielten es durch.
"Das setzt voraus, daß der Mörder nicht ihr Ehemann ist", sagte Frank.
"Ja, das setzt voraus, daß der Mörder ein Fremder für Lori ist. Er hat seine spezielle Vorgehensweise, seinen Modus operandi. Aber als er bei Lori war, wird er durch irgend etwas überrascht."
"Durch etwas, was sie tut... "
"Oder sagt", erwiderte ich, dann mutmaßte ich: "Sie könnte etwas gesagt haben, was ihn einen Moment lang aufhielt."
"Vielleicht." Er sah skeptisch aus. "Sie könnte ihn lange genug aufgehalten haben, daß er das Messer auf dem Tisch entdecken konnte, lange genug, um auf andere Gedanken zu kommen. Aber es ist wahrscheinlicher, meiner Meinung nach, daß er das Messer schon früher am Abend auf dem Tisch gefunden hat, weil er bereits im Haus war, als sie nach Hause kam."
"Nein, das glaube ich wirklich nicht."
"Warum nicht?"
"Weil sie bereits eine ganze Weile zu Hause war, bevor sie überfallen wurde."
Ich war es viele Male durchgegangen.
Lori fuhr vom Krankenhaus nach Hause, schloß die Eingangstür auf und schloß sie von innen wieder zu. Sie ging in die Küche und legte ihre Tasche auf den Tisch. Dann aß sie eine Kleinigkeit. Ihr Mageninhalt wies darauf hin, daß sie ein paar Käsekräcker gegessen hatte, kurz bevor sie überfallen wurde. Das Essen war kaum verdaut. Der Schreck, den sie bekam, als sie angegriffen wurde, hatte ihre Verdauung wahrscheinlich vollkommen zum Stillstand gebracht, ist einer der Abwehrmechanismen unseres Körpers. Die Verdauung sistiert, um den Blutfluß vom Magen ab - und den Extremitäten zuzuleiten und das Lebewesen auf Kampf oder Flucht vorzubereiten.
Nur war es ihr nicht möglich gewesen zu kämpfen. Es war ihr nicht möglich gewesen, irgendwohin zu fliehen. Nach dem Essen ging sie von der Küche in das Schlafzimmer. Die Polizei hatte herausgefunden, daß es ihre Gewohnheit war, ihre Pille am Abend zu nehmen, kurz vor dem Schlafengehen. Die Freitagspille fehlte in der Packung, die im Badezimmer gelegen hatte. Sie nahm ihre Pille, putzte sich vielleicht die Zähne und wusch sich das
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