Ein Fall für Kay Scarpetta
sagte.
"Schau", meinte er müde, als er seine Krawatte lockerte und den obersten Knopf seines Hemdes öffnete. "Das ist alles irgendwie schiefgelaufen. Ich wollte nicht, daß es so herauskommt. Ich schwöre es bei Gott. Jetzt bist du beunruhigt, und ich bin auch beunruhigt. Es tut mir leid."
Mein Schweigen war kalt wie Stein.
Er atmete tief ein. "Es ist nur, daß wir uns um ein paar Dinge wirklich Sorgen machen müssen, und wir sollten zusammen daran arbeiten. Ich male die schlimmsten Möglichkeiten aus, damit wir darauf gefaßt sind, okay?"
"Was genau erwartest du von mir?" Ich überlegte jedes Wort, damit meine Stimme ruhig blieb.
"Denke über alles fünfmal nach. Wie beim Tennis. Wenn du im Rückstand bist oder deine Nerven nicht mitspielen, dann mußt du vorsichtig spielen. Dich auf jeden Schlag konzentrieren, die Augen keine Sekunde von dem Ball lassen. "
Seine Tennisvergleiche gingen mir manchmal auf die Nerven. Aber jetzt war es ein guter Vergleich. "Ich mache nichts, ohne darüber nachz udenken", sagte ich starrköp fig. "Du brauchst mir nicht zu sagen, wie ich meine Arbeit erledigen muß. Ich bin nicht bekannt dafür, daneben zu tippen."
"Es ist jetzt besonders wichtig. Abby Turnbull ist Gift. Ich glaube, sie spielt mit uns. Mit uns beiden. Hinter den Kulissen. Benützt dich oder deinen Bürocomputer, um an mich heranzukommen. Es ist ihr egal, wenn die Gerechtigkeit dabei auf der Strecke bleibt. Die Fälle werden vermasselt, und wir verlieren unseren Job. So einfach ist das."
Vielleicht hatte er recht, aber ich tat mich schwer damit, zu glauben, daß Abby Turnbull so bösartig sein konnte. Wenn sie nur einen Tropfen menschlichen Blutes in ihren Adern hatte, dann würde sie wollen, daß der Mörder bestraft wird. Sie würde nicht vier brutal ermordete junge Frauen als Köder für ihre Rache benutzen, wenn sie überhaupt wegen Rache belangt werden konnte, und davon war ich nicht überzeugt.
Ich wollte ihm sagen, daß er übertrieb, daß seine schlechte Erfahrung mit ihr seine Urteilskraft momentan verzerrte. Aber irgend etwas hielt mich zurück. Ich wollte nicht mehr darüber reden. Ich hatte Angst davor. Es nagte an mir. Er hatte bis jetzt gewartet, etwas zu sagen. Warum? Seine Begegnung mit ihr lag Wochen zurück. Wenn sie so gefährlich für uns beide war, warum hatte er mir das nicht früher gesagt?
"Ich glaube, du solltest jetzt schlafen", sagte ich ruhig. "Ich glaube, wir tun gut daran, wenn wir dieses Gespräch vergessen, zumindest bestimmte Teile davon, und so tun, als hätte es nie stattgefunden."
Er rückte vom Tisch weg. "Du hast recht. Ich habe genug. Und du auch. Mein Gott, ich wollte nicht, daß es so läuft", sagte er. "Ich bin hergekommen, um dich aufzuheitern. Ich fühle mich schrecklich ... "
Er fuhr fort, sich zu entschuldigen, als wir den Korridor entlanggingen. Bevor ich die Tür öffnete, küßte er mich, und ich konnte den Wein in seinem Atem riechen und seine Hitze spüren. Meine körperliche Reaktion kam immer sofort, ein Schauer von Verlangen und Furcht lief mir kalt den Rücken hinunter wie ein Strom. Ich löste mich unwillig von ihm und murmelte: "Gute Nacht."
Er war ein Schatten in der Dunkelheit, als er zu seinem Auto ging, sein Umriß kurz erleuchtet von dem Innenlicht, als er die Tür öffnete und einstieg. Ich stand noch lange auf der Schwelle, nachdem die roten Rücklichter die leere Straße entlanggefahren und hinter den Bäumen verschwunden waren.
8
Das Innere von Marinos silbernem Plymouth Reliant war genauso chaotisch und schlampig, wie ich es mir vorgestellt hätte - wenn ich mir je Gedanken darüber gemacht hätte. Auf dem Boden hinten lagen eine Hähnchenschachtel, zusammengeknüllte Servietten, Burger-King-Tüten und mehrere kaffeegefärbte Styroporbecher. Der Aschenbecher quoll über, und am Rückspiegel baumelte ein Waldduft-Raumspray in der Form eines Tannenbaumes, das etwa so effektiv war wie ein Spritzer eines Deodorants in einem Müllcontainer. Alles war voller Staub und Zellstoff und Krümel, und die Windschutzscheibe war praktisch undurchsichtig durch den Nikotinbelag.
"Haben Sie dieses Ding jemals gewaschen?" Ich schnallte mich an.
"Mach' ich nicht mehr . Klar, man hat mir das Ding ge geben, aber es gehört mir nicht. Ich darf es nicht über Nacht oder übers Wochenende mit nach Hause nehmen oder sonstwas. Ich polier' es also, bis es blitzt, und verschwende eine halbe Flasche Meister Propper für das Innere, und wissen Sie, was passiert?
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