Ein Fall für Kay Scarpetta
machst du dich lustig über mich." Er spielte den verletzten Jungen. Bill verfügte über viele Rollen, und er spielte sie alle außerordentlich gut. Manchmal war es schwer für mich, zu glauben, daß er so vernarrt in mich war. War das auch eine Rolle?
Ich glaube, er bekam eine Hauptrolle in den Phantasien der Hälfte aller Frauen in der Stadt und sein Manager war raffiniert genug, das auszunützen. Fotos von Bill klebten über Restaurants und Ladenfronten und waren an Telefonmasten an fast jeder Ecke der Stadt zu sehen. Wer konnte diesem Gesicht widerstehen? Er sah atemberaubend gut aus, sein Haar hatte blonde Strähnen, sein Gesicht war sonnengebräunt von den vielen Stunden, die er jede Woche in seinem Tennisclub verbrachte. Es war sc hwer, ihn nicht anzustarren.
"Ich mache mich nicht lustig über dich", sagte ich müde. "Wirklich, Bill. Laß uns bitte nicht streiten."
"Mir ist es recht."
"Ich bin es nur leid. Ich weiß einfach nicht, was ich tun soll."
Anscheinend hatte er darüber schon nachgedacht und sagte: "Es wäre sehr hilfreich, wenn du herausfinden könntest, wer in deine Datenbasis eingedrungen ist." Eine Pause. "Oder besser, wenn du es beweisen könntest."
"Beweisen?" Ich sah ihn argwöhnisch an. "Willst du damit sagen, daß du einen Verdacht hast?"
"Nicht aufgrund irgendwelcher Tatsachen."
"Wer?" Ich zündete eine Zigarette an.
Er ließ seine Augen durch die Küche schweifen. "Abby Turnbull steht auf meiner Liste ganz oben."
"Ich dachte, du würdest mir etwas sagen, worauf ich nicht selbst kommen könnte."
"Ich meine es ernst, Kay."
"Na schön, sie ist eine ambitionierte Reporterin", sagte ich gereizt. "Offen gesagt, ich bin es langsam leid, mir ständig diese Dinge über sie anzuhören. Sie ist nicht so mächtig, wie sie jeder macht."
Bill stellte sein Weinglas mit einem harten Geräusch auf dem Tisch ab. "Von wegen nicht so mächtig", erwiderte er scharf. "Diese Frau ist eine gottverdammte Schlange. Ich weiß ja, sie ist eine ambitionierte Reporterin und was man sonst noch so sagt. Aber sie ist schlimmer, als es sich irgend jemand vorstellen kann. Sie ist boshaft und falsch und außerordentlich gefährlich. Diese Hexe ist zu allem fähig."
Seine Heftigkeit ließ mich vor Schreck verstummen. Es paßte nicht zu ihm, solche haßerfüllten Worte bei der Beschreibung einer Person zu verwenden. Vor allem, wenn es um jemanden ging, von dem ich ann ahm, daß er sie kaum kannte.
"Erinnerst du dich an den Artikel, den sie vor einem Monat oder so über mich geschrieben hat?"
Vor nicht allzulanger Zeit hatte die Times endlich das obligatorische Porträt des neuen Obersten Staatsanwalts der Stadt gebracht. Der Artikel war ziemlich weitschweifig und erschien in der Sonntagszeitung, und ich erinnerte mich nicht genau, was Abby Turnbull geschrieben hatte, außer daß das Werk mir ungewöhnlich farblos für die Verfasserin vorkam.
Ich sagte nur: "Soweit ich mich erinnere, war der Artikel ziemlich fad. Hat keinem geschadet, aber auch keinem genützt."
"Es gibt einen Grund dafür", gab er zurück. "Ich habe den Verdacht, daß sie es nicht besonders gern geschrieben hat." Er wollte damit nicht sagen, daß die Verabredung langweilig gewesen war. Es ging um etwas anderes, und meine Nerven spannten sich wieder an.
"Mein Termin mit ihr war ein ziemlicher Horror. Sie verbrachte den ganzen Tag mit mir, fuhr in meinem Auto mit, von Termin zu Termin, Hölle, sogar zu meiner Reinigung. Du weißt, wie diese Reporter sind. Sie folgen dir sogar in die Toilette, wenn du es zuläßt. Nun, kurz gesagt, als der Abend fortschritt, nahmen die Dinge einen etwas unglücklichen und eindeutig unerwarteten Verlauf."
Er zögerte, um zu sehen, ob ich seine Andeutung verstand. Ich verstand sie nur zu gut.
Sein Gesicht war hart, als er mich ansah und sagte: "Ich war völlig überrumpelt. Wir kamen gegen acht Uhr aus der letzten Versammlung heraus. Sie bestand darauf, daß wir essen gehen sollten. Sie hatte alles notiert und hatte nur noch ein paar Fragen, um die Geschichte abzuschließen. Wir waren kaum vom Parkplatz des Restaurants weggefahren, da sagte sie, sie fühle sich nicht gut. Zuviel Wein oder so was. Sie wollte, daß ich sie bei ihr zu Hause ab setzte, anstatt sie zurück zum Verlag zu bringen, wo ihr Auto stand.
Also tat ich das, brachte sie heim. Und als ich vor ihrem Haus anhielt, überfiel sie mich. Es war furchtbar. "
"Und?" fragte ich, als ob es mir egal wäre.
"Und ich wurde überhaupt nicht fertig damit.
Weitere Kostenlose Bücher